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KOMMENTAR VON HANSPETER STAFFLER.

Die alte Dame Europa beginnt sich zu bewegen: Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen hat sich in einem offenen Brief bei Italien entschuldigt.

Sie erkennt in dem Schreiben, welches vollinhaltlich in der Zeitung „La Repubblica“ abgedruckt wurde, die dramatische Situation der betroffenen Gebiete in Norditalien an und bedauert, dass die EU nur zögerlich und viel zu spät reagiert habe. Aber jetzt stünden Solidarität und Hilfeleistungen für Italien, Spanien und Co. an oberster Stelle der EU-Agenda. So weit, so gut.

Aber die EU alleine ist nicht in der Lage, die Krise für ihre Mitgliedsländer zu stemmen. Es braucht zusätzliche Geldsummen, die in Form von Eurobonds oder Coronabonds von den EU-Ländern gemeinsam aufgenommen werden müssten. Hierzu bräuchte es das Einverständnis aller Regierungen.

Das Problem sind aber einige Regierungschefs, welche sich gegen solidarische Finanzinstrumente stellen. In Deutschland blockiert die CDU/CSU jegliche solidarische Haftung, die SPD ist gesprächsbereit und die Grünen haben von Beginn der Krise an betont, dass es ums Ganze ginge und dass die EU nun entschlossen handeln müsse.

Der Holländische Ministerpräsident Rutte ist strikt gegen solidarische Finanzinstrumente und wurde dafür intern scharf kritisiert: Politiker, Wirtschaftsexperten und sogar Banker werben mittlerweile für Coronabonds. Es heißt, Rutte sei ein Pragmatiker und habe die Eigenschaft, auch Meinung zu wechseln. Also muss er weiterhin bearbeitet werden.

Lucrezia Reichlin, Professorin an der Buisiness School of London, hat gemeinsam mit anderen Fachleuten einen Finanzierungs-Vorschlag ausgearbeitet und sie meint, dass es eine solidarische Lösung wie zum Beispiel Coronabonds unbedingt und rasch brauche. Ansonsten sagt Frau Reichlin, drohen die EU und der Euro in Brüche zu gehen. Wollen wir das? Ich nicht!

Hanspeter Staffler

Bedingungsloses Grundeinkommen

Die zweite Woche unserer Green Meeting Points haben wir dem Bedingungslosen Grundeinkommen gewidmet.

Am Dienstag, 31. März trafen wir uns zum Mitreden, Fragen stellen und kritische Gedanken austauschen. Marlene Pernstich und Sepp Kusstatscher haben uns dazu ein kurzes Input bezüglich „Eine Vision in Krisenzeiten: Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ gegeben.

Hier könnt ihr nachhören, was in unserem zweiten Dialog passiert ist und die Ernte von Blufink ansehen.

 

Am Donnerstag, 2. April, haben wir gemeinsam mit Judith Hafner und Sepp Kusstatscher weitere Ideen gesammelt, wie wir die Sehnsucht nach dieser Vision nähren können: „Grundeinkommen: Traum und Strategie“.

Hier könnt ihr die Ernte anschauen mit dem Kommentar ansehen.

 

Das Projekt Green Meeting Point wird von der Sozialgenossenschaft Blufink begleitet und im Prozess unterstützt und am Ende jedes Dialogs in der “Ernte” für uns die Inputs, Fragen und Erkenntnisse der TeilnehmerInnen sammelt.

 

Einige Tipps zur Vertiefung:

  • Online Petition zum Grundeinkommen in Europa
  • „Radikal gerecht” von Thomas Straubhaar
  • “Non con i miei soldi” von Andrea Baranes, Ugo Biggeri, Andrea Tracanzan, Claudia Vago, Domenico Villano
  • “Reddito di base in Africa” von Sandro Gobetti, Federico Maggiulli, Luca Santini
  • „Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber
  • Gedankensplitter zum Grundeinkommen in Südtirol von Karl Tragust
  • Offener Brief von Sepp Kusstatscher

KOMMENTAR VON BRIGITTE FOPPA.

Ich fürchte Ja. Ziemlich schnell sogar. Schauen wir uns die derzeitige Szene an. Wir sehen im Wesentlichen vier Männer, immer dieselben vier (Kompatscher, Widmann, Schuler, Achammer). Die Krawatte haben sie gegen ein Halstuch eingetauscht. Innerhalb weniger Wochen hat sich der politische Diskurs in ein Frage-und-Antwort-Spiel verwandelt. BürgerInnen sagen nicht mehr ihre Meinung, sie dürfen Fragen stellen. Der Herr Professor antwortet, Tag für Tag, auf die Fragen im Radio, der Herr Hausarzt antwortet in der Zeitung, der Landeshauptmann antwortet in der Pressekonferenz.

Das ist sogar nachvollziehbar. Menschen brauchen Information und klare Antworten in dieser Zeit. Und: Eine Krise muss in aller Schnelle bewältigt werden, Entscheidungen sind zu treffen, ohne die langwierigen parlamentarischen Prozeduren.

Aber: Die Modi schleifen sich sehr schnell ein. Das Wirtschafts-Maßnahmenpaket wird nun nicht mehr diskutiert, sondern nur mehr vorgestellt. Im Radio besprechen es nicht mehr der Landesrat und die politischen Vertretungen, sondern auch dazu gibt es jetzt Anrufsendungen, wo dem Landesrat Fragen gestellt werden dürfen.

In kürzester Zeit ist die politische Debatte verarmt. Die Perspektiven haben sich verengt. Der öffentliche Diskurs wird banalisiert. Dabei wird im Hintergrund, in den sozialen Medien, in den Telefongesprächen und Videomeetings massiv diskutiert, mehr als je zuvor. Maßnahmen werden besprochen, Menschen suchen nach Information und Austausch, die Satire blüht und zeigt auf, dass die kritischen Geister noch nicht ermattet sind, sondern wacher denn je. Die Sehnsucht nach Diskussion, nach Verständnis, nach Auseinandersetzung ist immens.
Eine große Kluft hat sich aufgetan zwischen dieser Ebene und der öffentlichen Szene. Letztere wird von den eingangs genannten Herren bespielt und das Publikum darf wohldosiert interagieren.

Ich sehe darin eine große Langeweile, vor allem aber große Gefahren.

Eine ist die Infantilisierung der Gesellschaft. Indem der eigentlich vom Landtag gewählte Landeshauptmann zum allgegenwärtigen Landesvater wird, werden auch die BürgerInnen zu Kindern. Sie fragen um Antwort und zunehmend um Erlaubnis. Der LH hat seine Sprechart geändert. Er spricht heutzutage immer in der Ich-Form (Conte macht das übrigens auch. Es heißt, dass er zugleich an Sex-Appeal zugelegt hat. Auch das sollte zu denken geben). Auf die einzige kritische Bemerkung der Opposition in der gesamten Coronakrise (als die Frage aufgeworfen wurde, ob die berühmten Halstücher sinnvoll seien oder gar von Verwandten des Landesrates fabriziert worden waren), reagierte Kompatscher ungehalten und mit dem Ton einer Mama, die den Kindern sagt: „Da arbeite ich den ganzen Tag für euer Bestes und dann tut ihr auch noch kritisieren!“.

Die allseits verwendete Kriegsrhetorik verschärft die Meinungseinheit und die Botschaft des Gehorchens. Man denkt vielleicht, dass es nun Gehorsam braucht, um die Maßnahmen so flächendeckend als möglich durchzusetzen. Das ist eine Denkart. Eine andere geht davon aus, dass nicht gehorcht, sondern Regeln eingehalten werden müssen. Darin liegt ein kleiner, vielleicht winziger Unterschied. Denn während Gehorsam bedeutet, widerspruchslos Befehle anzunehmen, fußen Regeln auf einem gesellschaftlichen Konsens. Ganz ganz wichtig in dieser Zeit, wo wir so viele Menschen dazu bringen müssen, die Regeln des Zuhausebleibens und der Distanz einzuhalten.

Konsens aber entsteht aus Debatte. Wir konfrontieren in der Debatte unsere Haltungen, wir feilen daran, wir können Verständnis aufbauen und von vorgefertigten Urteilen abrücken. Genau das brauchen wir jetzt, noch mehr als sonst.

Daher mein inniges Plädoyer an alle, die Öffentlichkeit gestalten: Führen wir die Debatte wieder ein! Im Landtag, in den Medien, im wenn auch virtuellen Austausch zwischen den MeinungsträgerInnen.

Ich habe den Aufruf auch an den LH gerichtet. Ich weiß ihn da, zumindest theoretisch, auf meiner Seite. Er weiß um die Verführung der narzisstischen Omnipräsenz, aber auch um deren Einsamkeit. Er kennt die demokratischen Prozesse und nicht nur die Mühe, sondern auch die Stärke der Auseinandersetzung.

Es gilt die Demokratie wieder hochzufahren.

03.04.2020

 

Brigitte Foppa

Die Landesregierung hat erklärt, dass sie mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket die schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Krise abfedern will.  Es ist gut und wichtig, hier schnelle und unbürokratische Maßnahmen zu setzen, um Betriebe und folglich Arbeitsplätze – also die Zukunft – zu sichern. Jeder Tag Verzögerung würde zu schweren Schäden führen.

Aber es gibt noch einen anderen Bereich, der zwar derzeit nicht im medialen Fokus steht, aber deshalb nicht weniger wichtig ist, und zwar der Kunst- und Kulturbereich. Dieser Bereich, der für das gesellschaftliche Leben ebenso wichtig ist wie volle Auftragsbücher für Unternehmen, wurde als einer der ersten Wirtschaftszweige von der Corona-Virus-Krise getroffen und wird auch am längsten darunter leiden.

Abgesagte Konzerte, geschlossene Theater, verschobene Projekte: Das Kulturleben in Südtirol steht weitgehend still. Dies ist umso schwerwiegender, da Kultur in weiten Teilen von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist. Fast niemand hatte in der Vergangenheit die Möglichkeit, finanzielle Rücklagen zu bilden. Die finanziellen Folgen, vor allem für selbstständige Künstler, sind daher verheerend. Wegen ausbleibender Gagen und Honorare sind sie schlicht in ihrer Existenz bedroht.  Die mehrwöchige Zwangspause hat in der lokalen Szene bereits große, teils irreparable Schaden verursacht und was jetzt zerstört wird, wird sich möglicherweise nur schwer oder gar nicht mehr wieder aufbauen lassen.

Es bedarf jetzt klarer finanzieller Zusagen für Solo-Selbständige und Kleinstunternehmen, Liquiditätshilfen und Garantieleistungen, um unseren KünstlerInnen in den nächsten Monaten das Überleben zu sichern und einer deutlichen Erhöhung des Kulturbudgets, um einen Flächenbrand im Kulturbereich zu verhindern. Weiterbildungseinrichtungen, Jugendzentren und den Bibliotheken sollten in dieses Rettungsproramm eingebunden werden, um Kunst und Kultur, Künstlerinnen und Künstler auch in dieser Zeit erfahrbar und lebendig zu halten.

Die bisher für diesen Bereich getroffenen Maßnahmen sind eher ein Zeichen der Planlosigkeit, als ein ambitioniertes Hilfspaket. Anders kann die € 600 „Förderung“ für Online-Kunstprojekte nicht bezeichnet werden. Sollen etwa RegisseurInnen, MusiklehrerInnen, BildhauerInnen, oder AutorInnen ein 3min Facebookvideo hochladen, um Hilfe zu erhalten? Wer solche Vorschläge macht, hat von Kunst entweder nicht viel verstanden, oder hat, was ich eher glaube, aktuell schlicht nicht die Zeit, sich intensiv mit diesem Bereich zu beschäftigen.

Es ist daher zielführend, wenn LR Philipp Achammer sich in den nächsten Monaten einzig seinen Aufgaben als Wirtschafts- und Bildungslandesrat widmet und die Kultur eine eigene, starke Stimme erhält. Alle drei Ressorts mit bestmöglichster Leistung zu führen, ist für eine Person in dieser Phase schlicht nicht möglich.

Kunst und Kultur benötigt heute in dieser Krise mehr denn je eine selbstbewusste Vertretung,  welche die Probleme unserer gemeinsamen Kulturlandschaft – der deutschen, der ladinischen und  der italienischen – anspricht und sich mit ihrer ganzen Kraft für Lösungen einsetzt.

Wir brauchen heute den Mut, neue Ideen zuzulassen und alternative Wege zu gehen, damit wir morgen weiterhin eine lebendige Kulturlandschaft haben. Für die Kunst, die Zukunft und uns.

Felix von Wohlgemuth
Co-Sprecher Verdi Grüne Vërc