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Die Umfrage, die der HGV beim österreichischen Marktforscher GfK in Auftrag gegeben und den heute die Verbandsspitze vorgestellt hat, verweist auf dreierlei:

1) Dass 80% den Tourismus für Entwicklung und Zukunft für „sehr wichtig“ halten, geschlagen nur von der Schulausbildung im Lande (die Bedeutung von Gesundheitswesen und Sicherheit wurde nicht abgefragt), wird Präsident Pinzger und seine Vize Tauber und Schgaguler freuen, überschätzt aber seine reale Bedeutung für das Bruttoinlandprodukt, wo der Tourismus rund 20% erreicht.

2) Auch den positiven Beitrag für ein „offenes und erfolgreiches Südtirol“ hat die GfK-Umfrage betont, während weitere „Auswirkungen des Tourismus“ weit negativer ins Auge stechen: Verkehrsbelastung, Lebenshaltungskosten, Beeinträchtigung des Landschaftsbildes wiegen schwer und überschatten die Gewinne für ein offenes, erfolgreiches und freizeitbestimmtes Südtirol.

3) Die Frage schließlich, welche Entwicklung für die Zukunft gelten soll, erhebt gleichfalls einen stark gefühlten Belastungsdruck: Wenn 77% der Befragten „mehr Qualität statt Quantität“ wünschen, so ist der Wunsch nach einer Wachstumsbremse unübersehbar. Sanfte Entwicklung, verbesserte Gast-Einheimischen Beziehung, attraktive Arbeitsplätze in der Branche und weniger Bauten erscheinen mindestens 50% der Befragten als wichtige Zukunftsoptionen.

Das von den Auftraggebern der Studie erhoffte positive Gesamtbild überwiegt zwar noch, aber die Kehrseite der zuletzt überschießenden Entwicklung liegt sogar für den HGV auf der Hand. Zur Besserung der Situation werden der verstärkte Dialog und neue Verkehrskonzepte allein aber nicht helfen.

Auf dem Prüfstand steht eine ganze Branche, die trotz ihrer Bedeutung für das Land, seine Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahren den roten Wachstumsbereich erreicht hat. Mit einem Nächtigungsschub, der 2007 bis 2017 um knapp 20% zugelegt hat und einer Verbauung, die in den letzten zwei Jahren mehr Kubatur geschaffen hat als der soziale Wohnbau in einem Jahrzehnt, ist eine Grundsatzdiskussion über die Rolle des Tourismus angebracht. Die Nachdenklichkeit der HGV-Spitze ist ein erster Ansatz, dem entschiedene Korrekturen folgen müssen. Wir Grüne liefern neben scharfen Diagnosen gerne auch entsprechende Therapievorschläge (Overtourism – Am Limit. Al limite).

Bozen, 3.9.2018

Landtagsabgeordnete

Hans Heiss
Brigitte Foppa
Riccardo Dello Sbarba

2017 war – wie ASTAT dokumentiert – ein Allzeit-Rekordjahr für Südtirols Tourismus, der mit 32.437.815 Übernachtungen und 7.301.577 Ankünften das Rekord-Ergebnis von 2016 nochmals um 3,2 bzw. 4% übertroffen hat. Damit liegt Südtirol zwar weit hinter den 47 Mio. Nächtigungen Tirols, aber grenzenloses Wachstum scheint möglich. Der Trend ist gut für Beschäftigungslage und Tourismusbetriebe, für Handwerk, Lieferanten und Bauwirtschaft, die sich gleichfalls seit vier Jahren im Hoch befindet. Das Topjahr 2017 mit knapp 32.5 Mio. Nächtigungen stellt bei aller Genugtuung drängende Fragen.

Erreichbar und überrollt!

Im Topjahr 2017 sind Klagen über die schlechte Erreichbarkeit Südtirols verstummt. Noch nie kamen so viele Gäste, auch wegen der Risiken des Luftverkehrs und internationaler Reiseziele. Leider zu 85% im eigenen Auto, statt zumindest teilweise im logistisch dürftigen Bahnverkehr. Der Flughafen Bozen hingegen dient trotz der klar entschiedenen Volksabstimmung weiter als Premium und Charter-Airport. Die Verkehrsflut im Tourismus ist eine Kernfrage der Zukunft, aber ohne befriedigende Antworten. Anwohner der Dolomitenpässe und ladinischen Täler erleben überbordende Autoschlangen, Autobahn und Pustertaler Straße sind Standorte steter Staus. Ruhegebiete an den Naturpark-Grenzen sind oft Brunftplätze von Blechlawinen; sogar kleine Zubringer wie die Würzjochstraße sollen als Bypass dienen. Wenn die Zahl der Gäste steigt, während ihre Nächtigungsdauer auf unter 4 Tage fällt, bedarf es einer Verkehrswende. Denn ansonsten ist zu Saisonspitzen nicht nur Lebensqualität massiv gefährdet, sondern auch Südtirols Ruf als ruhige Tourismusregion.

Mehr Qualität statt weiteren Wachstums

Südtirol ist mit Tirol alpenweit das Land mit der höchsten Tourismusintensität. Nirgendwo sonst kommen so viele Gäste auf einen Einwohner wie im zentralen Alpenraum. Weiteres Wachstum ist genau zu steuern, erst recht bei den Bettenzahlen. Offiziell hat das Land knapp 224.000 Gästebetten, inoffiziell wohl weit mehr. 2016 und 2017 waren Jahre touristischen Baubooms: mit neuen und vergrößerten Hotels. Gästezuwächse, erhöhte Renditen und niedrige Zinsen sind mit den Möglichkeiten steuerlicher Absetzbarkeit Adrenalin für Investitionswillige. Die 2016 und 2017 verbaute Hotelkubatur betrug 260.000 m Kubikmeter, 2018 läuft der Trend ungebrochen weiter.

Den Angriff auf Natur und Landschaft eindämmen

Die Seilbahnbranche wittert Morgenluft für neue Zusammenschlüsse und Skikarusselle: die diskutierten Verbindungen Sexten-Sillian oder Langtaufers-Kaunertal sind nur eine Auswahl geplanter Erweiterungen. Der Erfolg scheint ihnen recht zu geben, „sanfter Tourismus“ scheint ein Auslaufmodell.

Grenzen des Wachstums und neue Verantwortung für die „Kehrseite des Tourismus“

Das aber trifft nicht zu: Schon jetzt mehren sich jene Gäste, denen ein klimaverträglicher, Landschaft und Kulturen schonender Tourismus am Herzen liegen.

Auf sie muss die Branche künftig bauen, auf Gäste, denen Nachhaltigkeit, Gesundheit und Regionalität am Herzen liegen. Bei 32,4 Mio. Nächtigungen und 7,3 Mio. Ankünften ist der „Rote Bereich“ bald erreicht. Südtirols Zukunft liegt auch in anderen Wirtschaftsbranchen: In der Industrie, die mit geringem Ressourcenverbrauch und qualifizierten Arbeitsplätzen hohe Wertschöpfung schafft.

Tourismus hingegen ist trotz aller Erfolge ein reifes Produkt, ein Sektor, der durch Selbstbeschränkung nur gewinnt. Und schließlich: Das Tourismusland Südtirol, das von den Folgen von Krieg, Terror und Unsicherheit so stark profitiert, muss sich auch bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen stärker bewähren als bisher der Fall.

Landtagsabgeordnete
Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba, Brigitte Foppa

Bozen, 21.02.2018