Der Grüne Rat hat in der Sitzung vom 30. Dezember 2017 beschlossen, bei den kommenden Parlamentswahlen mit der Liste „Liberi e Uguali“ des Senatspräsidenten Pietro Grasso und der Kammerpräsidentin Laura Boldrini anzutreten.

Die Entscheidung wurde mit großer Mehrheit getroffen, nachdem die diversen Möglichkeiten abgewogen worden waren.

Das Wahlgesetz, das Regionalparteien nicht namens SVP stark benachteiligt, hat bekanntlich ein großes Dilemma für uns ausgelöst.

Wir bedauern die Zersplitterung der Mitte-Links-Kräfte in Italien und wissen um die Tatsache, dass unsere KollegInnen der Grünen Partei Italiens bereits ein Bündnis mit dem Partito Democratico eingegangen sind. Das machte die Entscheidung besonders schwer. Die Enttäuschung vieler Mitte-Links-WählerInnen über die Politik des PD und der SVP, sowie die Gleichgültigkeit dieser beiden Parteien gegenüber einer Koalition mit allen Partnern auf Augenhöhe, vor allem aber gegenüber den dringlichsten aktuellen Themen der politischen Agenda hat uns zu einer gründlichen programmatischen Prüfung veranlasst.

Auf dieser Grundlage haben wir beschlossen, weiterhin auf die ökosozialen Themen zu setzen, da wir in diesem Bereich den größten Handlungsbedarf und das größte Entwicklungspotenzial erkennen.

Die inhaltliche Nähe zu Liberi e Uguali ist bei Themen wie soziale Gerechtigkeit, Solidarität mit den Schwächeren und Umweltschutz offensichtlich. Wir teilen die wichtigsten politischen Ziele der Liste um Grasso und Boldrini und sind sicher, dass wir das Wahlprogramm noch Ergänzungen anbringen können, vor allem was die Umwelt- und Europapolitik betrifft.

Wir hoffen auf eine ehrliche und faire Auseinandersetzung bei diesen Parlamentswahlen – wie gewohnt werden wir uns für eine seriöse und respektvolle Politik engagieren, die nicht auf Eitelkeiten und Pöbeleien, sondern auf Werte und Konkretheit setzt. Was in Italien wie in Südtirol dringend notwendig ist.

Brigitte Foppa und Tobias Planer, Co-Landesvorsitzende
Karl Tragust, Präsident des Grünen Rates
Riccardo Dello Sbarba und Hans Heiss, Landtagsabgeordnete
Florian Kronbichler, Kammerabgeordneter


Gefährdete Landschaft – Geschützte Lobby-Interessen
6 Kritikpunkte zum neuen Landesgesetz für Raum und Landschaft
In seiner Rede zum Landeshaushalt 2018 hat LH Kompatscher unverblümt gesagt, wozu der von der Landesregierung heute genehmigte Gesetzentwurf zu Raum und Landschaft dienen soll, nämlich 1. Entbürokratisierung, 2. Bürgernähe, 3. Vereinfachung der Verfahren, 4. Rechtssicherheit und 5. Planbarkeit.
Das ist ein klares Plädoyer für Liberalisierung: Wer sich hingegen Ziele wie: 1. Schutz des Bodens, 2. Eindämmung der Zersiedelung, 3. Raum als Ressource, 4. Schutz des Gemeinwohls, 5. Transparenz vorgestellt hatte, wird enttäuscht.
Wir gestehen LR Theiner zwar die gute Absicht zu, mit diesem Gesetz ein bleibendes Vermächtnis seiner Amtszeit zu hinterlassen, müssen jedoch aus mehrfacher Sicht Kritik vorbringen:

  1. Das neue Raumordnungsgesetz, ein Mitbestimmungsfake?

Wir teilen die Kritik der Umweltvereine, die die Entstehungsweise des Gesetzentwurfs beanstandet hatten. Die Genese war leider kein Beispiel für gelingende Partizipation, sondern weit mehr für gelingendes Lobbying. Partizipationsprozesse dürfen nicht in Verwirrung und verschleiernd enden, sondern müssen allen, wirklich allen Beteiligten die Möglichkeit geben, sich auch im Ergebnis wiederzufinden.

  1. Bodenverbrauch wird nicht verringert werden

Umweltvereine, aber auch der neue Abteilungsdirektor Frank Weber haben darauf hingewiesen, dass das neue Gesetz zu einer Steigerung des Bodenverbrauchs führen wird, entgegen der Versprechungen der Landesregierung. Denn Maßnahmen wie Versiegelung, Erschließung und Bebauung für die landwirtschaftliche Produktion sollen nicht als Bodenverbrauch gelten, Flächenverbrauch soll aus wirtschaftlichen Gründen – d.h. also immer – erlaubt sein: Die Aussage „Bodenverbrauch außerhalb des Siedlungsgebietes darf nur dann zugelassen werden, wenn er notwendig ist und es dazu keine wirtschaftlich und ökologisch vernünftigen Alternativen durch Wiederverwendung, Wiedergewinnung, Anpassung oder Vervollständigung bestehender Siedlungen gibt […]“(Art. 17) zieht sich unverändert durch die diversen Versionen des Entwurfs. Hier wird also mit dem Grundsatz zugleich die generelle Ausnahmebestimmung festgeschrieben und Letztere dadurch regelrecht zementiert.

  1. Natur- und Landschaftsschutz kommen zu kurz

Bei der Lektüre der diversen Entwurfsstadien fällt auf, dass der Bereich Natur und Ökologie kaum Niederschlag im Gesetz findet, einzig das Thema Landschaft wird behandelt; allerdings scheint es so, als habe die Landschaft immer wieder das Nachsehen hinter Wirtschafts- und Landwirtschaftsinteressen. Bereits im Vorfeld war die Sinnhaftigkeit der Verlegung des Landschaftsschutzes in das Raumordnungsgesetz mehrfach angezweifelt worden. Denn obwohl der Landschaftsschutz Verfassungsrang genießt, wird er hier zu einem Unterkapitel des Raumordungsgesetzes degradiert.
Auffallend sind die progressive Verstümmelung und Verkümmerung des Landschaftskonzeptes, es beinhaltet weder das Konzept von Biodiversität und ökologischer Vernetzung, noch die Instrumente und Grundsätze des Landschaftsschutzes. Außerdem gälte es nicht nur Gebiete von herausragender landschaftlicher Bedeutung zu schützen, sondern auch gewöhnliche und beeinträchtigte Landschaften.

  1.  Wie ist das nun mit dem Wertausgleich?

Wichtigste Maßnahme für den „sorgsamen Umgang mit Grund und Boden“ ist das Konzept des Wertausgleichs. Damit soll der Spekulation ein Riegel vorgeschoben werden.
Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs im Südtiroler Landtag wurde unterstrichen, dass der Wertausgleich nicht für Gewerbegebiete und für Sondernutzungsgebiete für touristische Zwecke vorgesehen ist. Auf unsere Nachfrage hin wurde dies bestätigt, unter Verweis auf den „Druck“, der bereits jetzt auf „der Wirtschaft laste“. Es ist absolut widersprüchlich, den Wertausgleich für das primäre Recht „Wohnen der BürgerInnen“ vorzusehen und die Betriebe davon auszunehmen. Zuletzt war außerdem immer wieder davon die Rede, dass das Konzept des Wertausgleich an sich nun in Frage gestellt wurde, da insbesondere Unternehmerseite scharfe Kritik daran äußerte. Wir wissen noch nicht, wie sich der endgültig genehmigte Entwurf hierzu positioniert, vor dem weiteren Verwässern dieses Prinzips warnen wir ausdrücklich.

  1. Die kuriosen Ausnahmen

Die letzten Versionen des neuen Entwurfs zum Gesetz für Raum und Landschaft enthalten auch einige eigenartige Ausnahmen für Sonderfälle. Wir haben hierzu in Landtagsanfragen nachgehakt, um herauszufinden, worum es im Einzelnen geht (Antworten noch ausständig).
Beispiele dafür sind die Sonderregelung für Gewerbegebiete (Art. 26): „Für Gewerbegebiete müssen Durchführungspläne erstellt werden. Dies gilt nicht für die Erweiterung bestehender Gewerbegebiete, die keiner zusätzlichen Flächen für Erschließungsanlagen bedürfen und für die Gebiete, die für die Ansiedlung eines einzigen Unternehmens bestimmt sind oder in denen mindestens 75% der Flächen verbaut sind.“ oder jene in Art. 29: „Für Einzelhandelstätigkeiten gelten die Begrenzungen laut Artikel 32, Absatz 3, wenn das betroffene Gebiet vormals Gewerbegebiet war. Ausgenommen sind an Mischgebiete angrenzenden Gebiete urbanistischer Neugestaltung in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern.“

  1. Achtung vor den Sondernutzungsgebieten zu touristischen Zwecken

Die neuen „Sondernutzungsgebiete“ sind von der Gesamtregelung der Siedlungsgebiete ausgenommen. Gewiss hat man Verständnis für bestimmte Anlagen, die natürlicherweise außerhalb der Siedlungsgrenze lägen, etwa Schotterwerke oder E-Werke. Weniger einleuchtend ist hingegen die Einordnung von Tourismusbetrieben in dieselbe Kategorie wie Schotter- und E-Werke. Hier wird große Aufmerksamkeit geboten sein.
Der neue Gesetzentwurf zur Raumordnung ist ein Zwitter: Begrüßenswerten Grundsätzen wie Einschränkung des Bodenverbrauchs, Einführung einer Siedlungsgrenze und mehr Fachkompetenz in den Gremien stehen sorgsam konstruierte Ausnahmen entgegen, die von der Feinarbeit der Lobbies künden. Deren Mitwirkung am Gesetzesentwurf ist jene Partizipation in Südtirol, die wirklich funktioniert. Die Grünen werden sich bemühen, im Landtag jene öffentliche Auseinandersetzung zu führen, die dieses zentrale Gesetz wirklich bedarf.

Bozen, 28.12.2017

Brigitte Foppa, Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba

Grundsätzlich: Schon heute leben in Europa Tausende von Menschen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Diese Einzelpersonen haben, berechtigterweise, den Doppelpass aus geschichtlichen oder familiären Gründen erhalten, und zwar im Kontext einer Europäischen Union, deren innere Grenzen ständig überschritten wurden. Unser Einwand richtet sich gegen die Übertragung dieses individuellen Rechts auf ein eingegrenztes Kollektiv, im spezifischen Fall die deutsche und ladinische Bevölkerung Südtirols. Damit wird eine Rechtsungleichheit zu den restlichen, vielfach seit langem im Lande lebenden SüdtirolerInnen geschaffen.
Manch jemand im Land ruft nach der Doppelten Staatsbürgerschaft, „wenn schon, dann für alle in Südtirol ansässigen Menschen“, also ItalienerInnen und MigrantInnen inbegriffen. Das ist leider eine, wenn auch gut gemeinte Wunschvorstellung.
Denn nach aktuellem Wissensstand wäre das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft auf zwei Personengruppen eingeschränkt, weil begründbar:
a)Auf Personen, die nachweisen können, VorfahrInnen in Südtirol (gehabt) zu haben, die zum Zeitpunkt der Abtrennung Südtirols von Österreich österreichische StaatsbürgerInnen waren (Begründung durch Abstammung).
b)Auf Personen, die der deutschen oder ladinischen Volksgruppe angehören (Begründung durch die Schutzmachtfunktion Österreichs für diese beiden Gruppen).
Im Detail würde dies zu einer Vielzahl von Problemen führen:
Praktische Probleme (Auswahl):

  • Die Begründung durch Abstammung führt etwa zur Frage: Wer kann nachweisen (und wie), dass seine/ihre Vorfahren einmal BürgerInnen des österreichischen Staates vor 1919 waren, wenn in unseren Gemeinden erst ab 1922 Standes- und Meldeämter geführt werden? Sollen also wieder Ahnenpässe über die Taufbücher der Pfarrarchive eingeholt werden?
  • Das Kriterium zur Zugehörigkeit zur Sprachgruppe wiederum führt zur Frage, wer denn der deutschen und ladinischen Sprachgruppe zugehörig ist. Denkt man zum Nachweis an die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung? Die hat doch einen völlig anderen Zweck, nämlich die interne Verteilung gemäß Proporz. Was passiert mit all jenen, die sich nicht zugeordnet, sondern nur angegliedert haben? Werden sich dann in Zukunft ItalienerInnen entweder für die österreichische Staatsangehörigkeit oder die Ansprüche gemäß Proporz für die italienische Sprachgruppe entscheiden müssen? Hält ein solcher Rechtswiderspruch überhaupt einer rechtlichen Prüfung statt?
  • Falls man nicht nach Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vorgeht: Wie wird festgestellt, wer „deutsch“ und wer „ladinisch“ ist? Und wie immer wird auf einen Aspekt vergessen: Was ist mit den Zwei-, Mehr- und Anderssprachigen im Lande? Welche Rechte stehen ihnen zu und wie erwerben sie diese Rechte?

Politische Probleme, gesellschafts- und autonomiepolitische Fragen (Auswahl):

  • Im Lande wird ein rechtliches Gefälle mit schwer wiegenden Unterschieden auftreten:  Ein Teil der SüdtirolerInnen wird um die doppelte Staatsbürgerschaft ansuchen können, ein weiterer Teil nicht. Das wird dem bereits im Wachsen begriffenen Eindruck der fortschreitenden Marginalisierung der italienischen SüdtirolerInnen weiteren Vorschub leisten. Gewiss werden nicht so viele ItalienerInnen den Wunsch hegen, österreichische StaatsbürgerInnen zu werden. Aber allein die bloße Tatsache, darauf keinen Anspruch zu haben, wird Benachteiligungsgefühle entstehen lassen. In einer Situation der wachsenden Resignation und Mutlosigkeit der italienischen Sprachgruppe braucht es keine weiteren Angriffe auf das Selbstwertgefühl. Wir erinnern daran, dass die Vertretung im Landtag mit 14%, bzw., mit 12,5% in der Landesregierung weit unter der tatsächlichen Stärke der italienischen Sprachgruppe [26% bei der Volkszählung 2011] liegt).
  • Die deutschen Rechtsparteien provozieren seit Jahren in dieser Sache. Mit der vordergründigen Berufung auf das historische Unrecht, das zweifelsfrei an Südtirol begangen wurde, wird ständig am kollektiven Selbstwertgefühl der italienischen Südtiroler gesägt. Jegliche Identifikation mit Italien wird als Nationalismus etikettiert und beanstandet. Politische Vorschläge in der Bandbreite von neutralen Trikots für Südtiroler SportlerInnen bis hin zur Ausrufung der Selbstbestimmung für Südtirol halten das Bewusstsein der ethnischen Unterschiede wach. Dieses kontinuierliche Herumstochern hat zu einem Wettlauf der Benachteiligung und zum Kampf um die Opferrolle zwischen der deutschen und italienischen Volksgruppe geführt. Die Voraussetzungen für einen friedlichen und rücksichtsvollen Diskurs im Lande verschlechtern sich auf diese Weise beständig. Die doppelte Staatsbürgerschaft verstärkt diesen perversen Mechanismus um ein Vielfaches.
  • Auf einer weiteren Ebene muss bedacht werden, welche Folgen die Doppelpassregelung auf die Kräfteverhältnisse zwischen Südtirol und Italien, zwischen Südtirol und Österreich und zwischen Italien und Österreich haben könnte. Die schwierige und stets gefährdete Balance der letzten Jahre scheint sich bereits durch die bloße Ankündigung seitens der neuen österreichischen Regierung geschwächt zu haben.
  • Wenn man erst bedenkt, welche Situation eintreten könnte, wenn sehr wenige deutsche und ladinische SüdtirolerInnen um den österreichischen Pass ansuchen, wird das gesamte Ausmaß des Ansinnens deutlich. Rom könnte dann annehmen, dass die Verbindung zu Österreich mittlerweile an Bedeutung verloren hat; die Schutzmachtfunktion könnte sich schwächen. Hingegen würde eine Kampagne zugunsten massiver Ansuchen um den Doppelpass die deutsche Sprachgruppe in Spaltung und Bedrängnis bringen. Ferner könnte ein Ansturm um die österreichische Staatsbürgerschaft die Beziehungen zu Italien verhärten und dem weiteren Ausbau der Autonomie alles andere als dienlich sein.
  • Denn wir dürfen die Geschichte nicht vergessen: Eine Hauptbedingung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens war die Zurückgabe der italienischen Staatsbürgerschaft an diejenigen, die sie 1939 mit der Option für Deutschland verloren hatten. Die Autonomie hat ihren Daseinsursprung also im Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit innerhalb des italienischen Staates. Würde hingegen morgen ein stattlicher Teil der Südtiroler Bevölkerung auch BürgerIn Österreichs werden, könnte Rom davon ausgehen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft ausreichen würde, um diejenigen zu schützen, die sich nicht italienisch fühlen. Dahingegen (so könnte der weitere Gedankengang der römischen Regierung sein) bräuchten jene, die allein mit der italienischen Staatsbürgerschaft zufrieden seien, nicht geschützt werden. In beiden Fällen würde die Autonomie überflüssig werden und auch die Schutzmachtfunktion Österreichs würde sich verändern: Sie würde sich nicht mehr auf das gesamte Südtirol beziehen, sondern nur noch auf diejenigen, welche die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten haben. Wollen wir uns wirklich auf diesen Weg begeben? Und ist vielleicht nicht diese Überlegung der ausschlagende Punkt dafür, dass die VerfechterInnen der doppelten Staatsbürgerschaft genau die Parteien sind, welche die Autonomie als ein Auslaufmodell betrachten?

 
Die Frage also, nach all diesen Erwägungen: Wozu dient der Vorstoß in Sachen doppelter Staatsbürgerschaft? Bringt dieses Ansinnen unser Land in irgendeiner Weise weiter, trägt es zu gedeihlichem Zusammenleben in Südtirol und zu seiner europäischen Öffnung bei?
Wir finden: Nein. Die Zielrichtung in Sachen Staatsbürgerschaft kann nur Europa sein. Die Sammlung von Staatsbürgerschaften seitens einzelner BürgerInnen führt in diesem Anliegen keinen einzigen Schritt weiter. Uns erscheint das Projekt ‚Doppelte Staatsbürgerschaft‘ vergangenheitsbezogen, nicht zukunftsträchtig. Es stiftet vielmehr bereits jetzt Unmut und heillose Verwirrung.
Wir raten dringend zu Besonnenheit und zu selbstständigem Denken, jenseits der Wegmarken, die die Rechtsparteien zu setzen versuchen. Hierfür tragen vor allem die Regierungsparteien Verantwortung.
 

Die Spitze von ÖVP und FPÖ hat die Regierungsbildung in Wien zügig durchgezogen, exakt zwei Monate nach der Nationalratswahl steht das Kabinett Kurz-Strache. Die neue Regierung bietet personell dreierlei Überraschungen: Dabei sind viele Newcomer, mit einem starken Frauenanteil unter der ÖVP-Ministerriege, während die FPÖ Inneres und Verteidigung für sich gesichert und mit Kickl und Kunasek zwei Hardliner in die Schlüsselressorts bestellt hat.
Das Programm der neuen Regierung steht im Zeichen von Stabilität, Sicherheit und Steuersenkung – als eine Blaupause für einen neoliberalen, starken Staat. Steuerentlastungen, Radikalreform von Arbeitszeiten und Krankenversicherung, dazu Rückbau des Kammerstaats kommen der Wirtschaft entgegen, während Asylwerber, Migranten, aber auch sozial Schwache die harte Hand der neuen Regierenden erfahren werden. Die künftig aufgestockte Polizei und verschärfte Datenüberwachung deuten auf einen langfristigen Systemwechsel. Das Bekenntnis zu Europa ist halbherzig, da die Formel der „Subsidiarität“ vor allem auf eine Stärkung der Nationalstaaten abzielt.
Die verklausulierte Zusage einer „Prüfung“ der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler macht deutlich, dass dieses Anliegen von Teilen der SVP, STF und Freiheitlichen nur auf deren Drängen im Regierungsprogramm gelandet ist, aber ohne rasche Konsequenzen, da Wien die damit verbundenen Probleme für Südtirol und Österreich selbst nur zu gut kennt.
Insgesamt täuscht der moderate, von Harmonie geprägte Auftritt der neuen Koalitionäre keinen Moment darüber hinweg, dass Kurz, Strache, Kickl und Co. den langfristigen Umbau der Republik planen. Dieses Ziel hat Auswirkungen auf Europa ebenso wie auf Südtirol, das mit der türkis-blauen „Schutzmacht“ im Rücken gleichfalls zu verstärktem Rechtsdrall aufgefordert ist.
Wir Grüne sehen im Start der neuen Koalition keinerlei Grund zur Freude, werden die Rückwirkungen auf unser Land genau verfolgen und bei Bedarf kein Blatt vor den Mund nehmen. Obwohl in Europa diesmal weit weniger Alarmstimmung herrscht als anlässlich des schwarz-blauen Regierungsantritts 2000, gibt es kaum weniger Grund zur Sorge.
Bozen, 17. 12. 2017

Brigitte Foppa und Tobe Planer, L.Abg. und Sprecher der Grünen
Hans Heiss und Riccardo Dello Sbarba, L.Abg.

Italiens Politik hat für einmal Verantwortung übernommen. Mit der Genehmigung durch den Senat ist die so genannte Patientenverfügung endlich Gesetz. Unheilbar Totkranke, ihre Angehörigen sowie Ärzte und Pflegepersonal müssen sich nicht länger um Unausweichlichkeiten drücken und auf Gnade hoffen. Sie können sich jetzt auf ein Recht berufen. Das Parlament hat seine Pflicht wahrgenommen und dem Menschen das Selbstbestimmungsrecht über sein Leben bis zum Tod zurückgegeben. Mit Respekt ist anzuerkennen, dass auch die Südtiroler Senatoren für die Annahme des Gesetzes gestimmt haben. Stolz darf das ganze Land jedoch auf seine Mitbürgerin Mina Schett Welby sein. Die heute 80jährige Lehrerin aus Innichen gilt seit Jahren italienweit als die Vorkämpferin für das Recht auf würdiges Sterben, und es ist deshalb nicht  übertrieben, Mina Schett Welby die Mutter des heute genehmigten Gesetzes zu nennen.
Florian Kronbichler

Es ist ein höchst problematisches Projekt, das nicht umsonst sofort im ganzen Unterland entrüstete Ablehnung hervorgerufen hat: die geplante Vergasungsanlage für Industriemüll im Unterland – sie ist in dieser Woche auch Thema im Landtag im Zusammenhang mit den Haushaltsgesetzen.
Über 95.000 Tonnen an Industrieabfall sollten in der Anlage der eco energy von Patrick Santini dort pro Jahr verarbeitet werden, in Südtirol selbst entstehen „nur“ 10.000 davon. Die Zone, in welcher die Anlage geplant ist, ist ein sensibles, von (zum Teil biologisch bearbeiteter) landwirtschaftlicher Nutzung umgebenes, zudem noch überschwemmungsgefährdetes Gebiet. Die möglichen Problematiken liegen auf der Hand.
Drei ha Fläche, 28 m Höhe des Gebäudes und 45 m Höhe des Schornsteins, überdies An- und Abfahrt von ca. 40 Müllsattelschleppern pro Tag.
„Es ist überaus wichtig, dass wir diesem Wahnsinnsprojekt partei- und gemeindenübergreifend eine klare Absage erteilen.“, betont Brigitte Foppa, die als Landtagsabgeordnete des Unterlandes zusammen mit Oswald Schiefer eine entsprechende „Tagesordnung“ zum Haushaltsgesetz eingereicht hat.
Darin verpflichtet sich die Landesregierung, das Projekt abzulehnen.
Nach den BürgermeisterInnen des Unterlands kommt auch der Ruf aus dem Südtiroler Landtag. Ein klares Nein.
Brigitte Foppa, Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba

Heute Vormittag wurde die Generaldebatte zum Haushalt beendet. Haushalt ist nicht nur Zahlenschau, sondern auch die Chance zur Bilanz und zur Bewertung des Kurses der Landesregierung in den letzten 4 Jähren. Auch die Grüne Fraktion hat eine Gesamtbewertung vorgenommen und hat auf die Defizite der sozialen, ökologischen und demokratiepolitischen Agenden hingewiesen.
In der Euphorie der aktuellen Wachstumsphase wird oft vergessen, dass „In einem Moment der brummenden Hochkonjunktur ein Sockel von Armen und Armutsgefährdeten im Ausmaß von 15 % bestehen bleibt“, so Hans Heiss. Spürbar ist zudem eine untergründige Sorge, eine gesellschaftliche Grundstimmung, „dass der Boom nur kurzfristig dauern wird und der Friede faul sein könnte“.
Unter dem Vorwand der Sicherheit wird demokratische Öffnung blockiert, wird eine Politik „für das Volk“ statt „mit dem Volk“ betrieben. Die Partizipationsversprechen wurden enttäuscht. Das gilt nicht nur für den Konvent und dies, obwohl es eine noch „nie da gewesen Welle der Volksabstimmungen gegeben hat“, so Brigitte Foppa. Dem Gesetz für direkte Demokratie wurden viele Hürden in den Weg gelegt. Den Prozess zielführend und würdig abzuschließen, „wird zu einem Prüfstein für die neue Landesregierung werden“, auch um neue Partizipationsmodelle in unserm Land zu ermutigen statt für überflüssig zu erklären. Dies wäre eine „Bankrotterklärung für jegliche Partizipationsversuche in unserem Land“, Brigitte Foppa weiter.
Als „Mitbestimmungsfake“ bezeichneten die grünen Abgeordneten auch das anstehende Raumordnungsgesetz. Kompatscher sagte es selbst unverblümt, wozu es dienen soll: 1. Entbürokratisierung, 2. Bürgernähe, 3. Vereinfachung der Verfahren, 4. Rechtssicherheit und 5. Planbarkeit. Wer sich Ziele wie: 1. Schutz des Bodens, 2. Eindämmung der Zersiedelung, 3. Raum als Ressource, 4. Schutz des Gemeinwohls, 5. Transparenz vorgestellt hatte, wird enttäuscht. Die Entstehung des Gesetzentwurfs ist leider kein Beispiel für gelingende Partizipation, sondern wohl sehr viel mehr für gelingendes Lobbying.
Das Verlassen gewohnter Bahnen bedeutet die Notwendigkeit einer neuen Haltung, aber vor allem: Mut zur Veränderung und zur Offenheit. Und ein Weiteres: neben dem Grundrecht auf Sicherheit braucht es vor allem Lernfähigkeit, wollen wir die Zukunft weit blickend gestalten.
Die Rede von Brigitte Foppa findet sich hier: http://www.verdi.bz.it/brigitte-foppa-haushaltsrede-2018/
Die Rede von Hans Heiss findet sich hier: http://www.verdi.bz.it/hans-heiss-haushaltsrede-2018/
Bozen, 14. 12. 2017
Brigitte Foppa, Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba

Rede von Brigitte Foppa zum Haushalt 2018
Geehrter Herr Landeshauptmann, Geehrte Mitglieder der Landesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle üben uns in diesen Tagen in Reden zum Landeshaushalt und ziehen dabei eine erste Bilanz dieser Legislatur.
Ich möchte in meinem Beitrag von der wichtigen, schönen, auch etwas abgedroschenen Aussage in der Rede des LH ausgehen, als er sagte: Wir haben unser Land nicht nur von unseren Müttern und Vätern geerbt, sondern auch von unseren Kindern geliehen. Ein klassischer Satz, den man aus Nachhaltigkeitsreden oder Geburtsanzeigen kennt und der uns Gelegenheit gibt, einige Fragen zu stellen, dazu, welches Land diese Landesregierung ihren Kindern hinterlässt.
Denn die Frage, wenn man an die Regierung geht, wenn man bewusst und verantwortungsvoll an die Regierung geht, ist ja immer: Wie will ich mein Land verändern? Wohin will ich es führen? Welches Südtirol wollen wir? Wie soll sich unser Land entwickeln?
Im Wahlkampf 2013 hatte der damals noch fast pausbäckige LH-Anwärter auf eine zu erneuernde politische Führung gesetzt, und auf ein demokratischeres, nachhaltigeres, offeneres Südtirol.
Beginnen wir bei der Erneuerung der politischen Führung.
Es ist eine Binsenweisheit in der Politik, dass man geht immer an dem zugrunde, was man (implizit oder explizit) verspricht. Moralisten in der Politik werden an ihren eigenen moralischen Ansprüchen zerrieben. Revolutionäre erstarren zu Diktatoren. Verjünger altern vor den anderen. Erneuerer landen leicht selber auf dem Schrotthaufen der Geschichte.
So ist auch von den Erneuerungsverheißungen und Modernitätserwartungen an die Ära Kompatscher wenig übrig geblieben. Die Landesregierung ist schnell gealtert und kontinuierlich blasser geworden. Beim nächsten Mal kann man nicht mehr als junge Mannschaft antreten, ganz sicher wird es schwer werden, eine originelle Vision von Südtirol zu vermitteln. Wir sind als GutmenschenFraktion niemals erbarmungslos in unserer Kritik. So wollen wir nur sanftmütig anmerken, wie profilarm und beliebig, manchmal auch etwas kleingeistig die Arbeit der Landesregierung wirkt.
Wir haben es schon öfters gesagt, dass insbesondere dem LH gut täte, sich ein wenig angreifbar zu machen. Und das ist keine Stilfrage, Achtung. Es geht darum, sich die Hände schmutzig zu machen, auch einmal einen Fehler in Kauf zu nehmen, sich auszusetzen, zu polarisieren, sich unbeliebt zu machen. Politik braucht solche Menschen.
Frauen in der Politik wissen das, sofern sie nicht auf Unsichtbarkeit setzen. Auch die Frauen in der Landesregierung wissen das, sicher besser als die Herren. Wenn, dann haben sie diese undankbare Aufgabe übernommen.
Braucht Politik das tatsächlich? Sie empfinden das vielleicht überhaupt nicht so. Ich erlebe Sie, insbesondere den LH oft als distanzierten Sachwalter oder besser vielleicht Nachlassverwalter. Ihre Reden zum Haushalt lesen sich wie Jahresberichte des Direktors der Landesabteilung Südtirol. Sie sind wie das neue Plageinstrument der Landesverwaltung, wie mein Kollege Hans Heiss letzthin bei der Vorstellung des Haushalts bissig kommentierte, Sie sind ein lebender Performanceplan, Kollege Landeshauptmann.
Wir haben Sie zum Haushalt der Region sprechen hören. Im Gedächtnis geblieben ist mir eigentlich nur ein langer Diskurs über die Räumlichkeiten des Gerichtes. Und so lesen wir auch in dieser Rede von Post, Tagesrandflügen, der 112er Nummer, Verteilungs- und Mobilitätszentren, von Seilbahnen und der Modernisierung der Busflotte.
Es ist deshalb keine Stilfrage, weil es in diesen Zeiten sicher gute Performancepläne braucht, noch mehr aber braucht es Rückgrat, Profil und das Aushalten von eisigem Gegenwind. Es ist nicht mehr die Zeit für abgehobenes Analysieren und für das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten. Die Gesellschaft ist in einem tiefgreifenden Wandel begriffen und es liegt jetzt an uns, wie wir unsere Steuerungsfunktion ausüben. Ob wir zusehen oder ob wir eingreifen.
Ich werde noch genauer erklären, was ich damit meine.
Es hängt mit dem Vorhaben zusammen, Südtirol offener zu gestalten, was ebenfalls zu den Versprechen gehört hatte.
Ist Südtirol heute also offener als vor vier Jahren?
Aus der Haushaltsrede könnte man ableiten: Absolut! Es gibt jetzt den NOI Techpark. Wir sind zwar immer noch nicht an die Welt angebunden, (aber auch nur, weil das Südtiroler Volk den Flughafen nicht mochte, nicht aus Schuld der Landesregierung), dafür bohrt sich der BBT täglich ein Stück weiter durch den Berg. Der Herr Zeller erringt praktisch jede Woche eine neue Durchführungsbestimmung. Die Hälfte der SVP zusammen mit den Kollegen der Rechtsparteien und den 5 Sternen will uns sogar mit zwei Staatsbürgerschaften beehren und unsere Identität durch die Anbindung an das Land von Kurz&Strache stärken. Die Europaregion, in unser aller Empfinden die meistbeschworene leere Schachtel nach der Region, entwickelt sich laut LH zur Plattform für eine zukunftsträchtige Mobilität, neben Sprache und Kultur.
Andererseits findet sich in den Haushaltsreden der letzten Jahre nicht das Mantra der Offenheit, sondern stets ein anderes, das der Sicherheit.
Ich glaube ja nicht, dass dieser Ansatz dem Naturell des LH entspricht, sondern eher dem Bedürfnis, antizipativ die Vorwürfe zurückzuweisen, er sei zu „links“ – wir haben diesen Eindruck zwar nicht, vielleicht kann ihn das beruhigen, aber es wird ihm offenbar immer wieder vorgehalten. Daher diese, mit den Jahren zunehmende Insistenz auf „Sicherheit“, statt auf Offenheit.
Dabei gälte es so notwendig und weiterhin! ein offenes Südtirol zu erwirken. Offen in einem ganz spezifischen Sinne. Nicht wie man in der Weiterbildung sagt: wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein, sondern vielleicht in Anlehnung an Harald Welzer folgendermaßen definiert:
Eine offene Gesellschaft ist eine, die den Schutz von Freiheit und Demokratie über andere Werte stellt. Offenheit, Freiheit und Demokratie: Worte, die in den Haushaltsreden Kompatschers weit zurückstehen hinter Worten wie Sicherheit, Selbstbestimmung, Stabilität ja sogar hinter Wolf und Bär!
Wenn man dort, wo in der Haushaltsrede Sicherheit steht, Offenheit einsetzen würde, dann gäbe es Sätze wie:
–       „Wir Südtiroler haben heute mehr Autonomie, mehr Unabhängigkeit, mehr Selbstständigkeit, mehr Selbstbestimmung und damit auch mehr OFFENHEIT als noch vor vier Jahren.“
–       „Mit dem vorliegenden Landeshaushaltsentwurf setzen wir ein klares Zeichen der Stabilität und der OFFENHEIT.“
–       „Neben der Familienpolitik trägt die Stärkung der Heimatverbundenheit dazu bei, der mehrfach angesprochenen allgemeinen Verunsicherung entgegenzuwirken, Heimat gibt OFFENHEIT.“
Was für eine andere Grundierung herausgekommen wäre, wenn die Rede des LH  (und folglich die Arbeit der Landesregierung) auf Offenheit statt Sicherheit angelegt gewesen wäre, wird vielleicht ansatzweise aus der Auswahl der Textstellen ersichtlich.
Nun wird sich jemand fragen, was denn die Sicherheit mit der Offenheit zu tun habe. Vielleicht sind die beiden Begriffe für jemand antithetisch, für andere einfach unverwandt.
Für mich sind Sicherheit bzw. Offenheit zwei gegensätzliche, vielleicht bestenfalls komplementäre Ansätze in der Reaktion auf das Phänomen der Veränderung. Und Veränderung, das bedeutet in dieser historischen Phase, insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Migration.
Nicht umsonst hat auch der LH gleich zu Beginn seiner Rede dieses Thema angeschnitten. Und den gleichen Ansatz gezeigt, wie schon in den ganzen Jahren zuvor: nämlich:

  • ein bisschen humanitäre Grundhaltung,
  • erhobenen Zeigefinger gegenüber den Rassisten (danke!),
  • pragmatische Minimalleistung gegenüber den Ankommenden,
  • klare Positionierung gegen bedingungslose Aufnahme von Menschen auf der Flucht, für das Zurückschicken von Hungerflüchtlingen in die Armut (Übersetzung von: Rückführung von Nicht Asylberechtigten),
  • Abdrängen hinter die Grenzen Europas (Übersetzung von: Sicherung der Außengrenzen),
  • Akzeptanz von horrenden Lagersituationen in Libyen oder der Türkei (Übersetzung von: Bekämpfung des Schlepperwesens).

Das, was bei Weitem schon mehr ist, als in bestimmten Südtiroler Kontexten verdaulich wäre, ist in Wirklichkeit jene pseudohumanitäre, elegante, mit Pragmatismus kaschierte Feigheit, die viele Regierende in Europa – und Europa selbst – in dieser Frage kennzeichnet.
Zu Recht weist der LH auf die 1.650 im Land lebenden AsylbewerberInnen hin. Ob das viel oder wenig ist, ja ob das schaffbar ist, darüber wird permanent diskutiert. Unglaublich. Ein Land, das 30 Millionen Nächtigungen aushält, sorgt sich um den kulturellen Untergang wegen 1.650 Personen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger (ja, Hunger! Kein Asylgrund, aber sehr wohl ein Fluchtgrund, aber sogar das muss man sich in Diskussionen erst erstreiten) flüchten.
Wir können uns das so vorstellen, als ob wir zu 500 im Waltherhaus sitzen und es kommen 2 dazu. Haben sie tatsächlich keinen Platz? Machen sie uns unseren streitig? Was verändern diese 2 Menschen? Können sie auf den Glauben, die Traditionen, die Werte der anderen 500 einwirken, ja ihnen diese nehmen? Würden die anderen 500 im Waltherhaus die 2 neuen überhaupt bemerken, wenn sie nicht eine andere Hautfarbe hätten?
Ich mache mir Sorgen um unsere Gesellschaft, werte Kolleginnen und Kollegen, geehrter Landeshauptmann.
Schon seit Monaten hege ich die Befürchtung, dass wir in Europa einer totalitären Epoche entgegen gehen. Ich komme von den Debatten in den Dörfern Südtirols zurück und in mir klingen die faschistoiden Aussagen und Denkmuster nach, die ich aufgefangen habe.
Es verschieben sich derzeit die normativen Maßstäbe, nach denen wir zu denken gewohnt sind. Meist verschieben sie sich unbewusst. Welzer nennt das „Shifting baselines“. Als ich klein war, kamen die ersten Bilder von hungernden Kindern aus Afrika nach Europa. Es gab Hungersnöte, Dürre und Krieg, Kinder starben.
Damals gab es ein kollektives Entsetzen, erste Wahrnehmungen, dass das nicht richtig sei. Wer sich heute rühren lässt, von hungernden Menschen, die nun nicht mehr in der Zeitung zu sehen sind, sondern am Bozner Bahnhof, der wird nunmehr als Gutmensch geschimpft. Ich wurde letzthin lauthals ausgelacht in einer Diskussion, als ich vorschlug, diesen Menschen Toiletten zur Verfügung zu stellen. In einem Südtiroler Dorf, das 6 Menschen auf der Flucht wird aufnehmen müssen und das sich allen Ernstes fragt, ob das schaffbar sei.
Es verschieben sich die Baselines, die normativen Maßstäbe. Oft in kürzester Zeit.
(Harald Welzer, Wir sind die Mehrheit, Fischer Verlag, April 2017)
Innerhalb von 8 Jahren hatte sich damals der Wandel Deutschlands vollzogen, von einem weltoffenen Land zu jenem, das mitten in Berlin die Deportationszüge starten ließ.
Sie sagen jetzt wahrscheinlich, der Vergleich mit den 30er Jahren sei heillos übertrieben. Das dachte ich auch lange Zeit. Aber es gibt leider viele Parallelen. Im Deutschland der beginnenden NS-Zeit begann es schleichend. Mit der Konstruktion des Sündenbocks. Mit feinen Unterscheidungen zwischen „anständigen“ Juden und anderen. Mit kleinen Maßnahmen, mit sprachlichen Neudefinitionen. Mit Argumenten wie der Gefährdung des „Volkskörpers“ durch „zuviele“ Juden. Mit Worten wie „Duldung“, „Abschiebung“, „Überfremdung“ oder „Überforderung der Sozialsysteme“. Kommen euch diese Begriffe bekannt vor?
Es ist leicht, sich verschieben zu lassen, in dieser Thematik, es passiert sogar den Gutmenschen, dass sie beginnen, zu unterscheiden, ob es eine „Berechtigung“ für die Aufnahme gibt. Krieg ja, Hunger nein. Dass sie vom Schutz der Außengrenzen Europas zu schwafeln beginnen. Ja, es verschieben sich die Maßstäbe, auch in uns. Zweifel entstehen zu sicheren Gewissheiten, sogar zu Grundwerten, wenn man etwas immer wieder hört oder sieht. In einer Werbung letzthin auf einem Onlineportal war ein eklatanter Rechtschreibfehler zu sehen. Magazien mit ie. Ich habe schmunzeln müssen. Nachdem ich es aber oft las, da die Schrift immer wieder verschwand und wiederkehrte, kamen mir Zweifel. Ich habe am Ende Magazien gegoogelt. Ein klassisches Beispiel von Maßstabsverschiebung. Wenn mans immer wieder hört, kommt es einem irgendwann richtig vor, auch wenns ursprünglich als falsch erkannt wurde, oder man beginnt zumindest zu zweifeln.
Ich fordere deshalb eine entschiedene Rückkehr zur humanitären Zweifelsfreiheit.
Die Diskussion und die Abstimmung zum Ius Soli letzthin im Regionalrat war erschreckend. Sie haben da die Aussage getroffen, dass es Unterschiede zu geben hat, zwischen Neugeborenen.
In einer entsetzlichen kognitiven Dissonanz wird in unserem Land die Martinsprozession verteidigt, indem man zugleich die Hungernden aus dem Land haben will.
Finstere Zeiten. Zivilcourage ist hier gefragt. Und das Erkennen der Zeichen.
Unsere Generation wird eines Tages nicht nur die ätzenden Worte und bösen Taten der schlechten Menschen zu bereuen haben, sondern auch das furchtbare Schweigen der guten.” (Martin Luther King)
Wir schweigen nicht.
Man wird sich fragen, wie eine Umweltpartei wie die Grünen eigentlich dazu kommt, sich so, man könnte sagen fast selbstschädigend der Migrationsthematik anzunehmen. Manchmal erhalten wir auch diesen Vorwurf. Der Kollege der 5-Sterne-Bewegung, mit dem wir ja viele Umweltanliegen teilen, hält sich aus dieser Thematik nicht umsonst diskret heraus. Positionierung in dieser Sache kostet Stimmen, kostet Konsens. Trotzdem gehört es zu unserem Ethos einer nicht nur ökologischen Bewegung, sondern einer zutiefst ökosozialen Bewegung, auch in diesem Bereich voran zu gehen.
Ich sehe es oft wie die Ökobewegung in den 70er Jahren. Verlacht, belächelt, bagatellisiert, marginalisiert, wir kennen das. Später kopiert und für sich beansprucht. Südtirol verkauft sich heute als Green Region. Dabei wurde nie anerkannt, was die stets belächelten und verachteten Grünen an Vorarbeit geleistet haben. Heute leisten wir als Grüne dieselbe Vorarbeit auf der sozialen Front. Belächelt, verlacht, als TräumerInnen verflacht, halten wir der Gesellschaft den Spiegel vor, ein weiteres Mal.
Und wir warnen davor, was in diesem Spiegel sichtbar zu werden droht.
Trotzdem, schauen wir auch noch einmal auf die klassisch grünen Themen und nehmen wir uns das Nachhaltigkeitsversprechen der Landesregierung vor.
Die Frage ist also: Ist Südtirol heute nachhaltiger als vor vier Jahren?
Wiederum gilt: vordergründig ja. In der Imagearbeit des Landes greent es richtig, es grünt die mobility, die region und der corridor. Effektiv wurden im Bereich Mobilität einige Projekte angestoßen, die die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel komfortabler machen, die grüne Mobilität fördern.
Darüber hinaus ist die Performance im Bereich Natur- und Umweltschutz sehr dürftig. Die gerade mal 2 % des Landeshaushaltes, die diesem Bereich zugeführt werden, sind ein deutlich schmales Signal für die quasi schönste Nebensache der Südtiroler Welt, die Um-Welt.
Die Landesregierung, auch der LH in seinem Bericht, übt sich vor allem in der Problembeschreibung und im leidenschaftslosen Wiederholen dessen, was wichtig wäre. Ich glaube, dass Südtirol zu keinem Thema weniger Impulse seitens der Landesregierung erhalten hat. Die Klimastrategie fußt im Wesentlichen auf der erneuerbaren Energie. Da können wir allen dem Faschismus und dem verhassten Nachkriegsitalien danken, dass man uns mit Wasserkraftwerken reich beschenkt hat, so können uns vormachen, dass wir nur erneuerbare Energie verbrauchen. Damit schönen wir unseren ökologischen Fußabdruck, indem wir so tun, als ob wir nicht Teil dieser vernetzten Welt wären. Eine gefährliche Illusion, die uns bequem zurücklehnen lässt, anstatt wie weltweit nötig, an Einsparungsstrategien auf allen Ebenen zu arbeiten. Denn wir sind Teil der Welt und wir verbrauchen gleich viel Energie wie jedes andere Volk des globalen Nordens. Wir haben keine anderen Verhaltensweisen als die anderen Europäer, die heuer tatkräftig dazu beigetragen haben, dass die Jahresressourcen der Welt bereits am 2. August aufgebraucht wurden. Der Rest des Jahres wurde, auch in Südtirol, auf Pump gelebt. Das stehlen wir unseren Nachkommen – so viel zum Motto des Landeshauptmanns, dass wir die Erde von den Nachkommen geliehen haben. Oh ja, das haben wir. Sehr wahrscheinlich tragen wir wie alle anderen EuropäerInnen dazu bei, dass wir den weltweit größten Fußabdruck nach den USA haben – und wie die Schweiz oder Österreich 2,4 mal so viel Planeten Erde brauchen als es gibt, nämlich eine einzige. Jedoch bleibt der Südtiroler Fußabdruck eines der bestgehüteten Geheimnisse nach der Coca-Cola-Rezeptur.
Uns was vorlügen, das haben wir immer schon gut gekonnt.
Es gelingt auch ganz wunderbar mit der Schadstoffbelastung, ausgenommen man lebt in Bozen und entlang der Brennerautobahn. Stickoxide und Feinstäube in der Luft, so hat der Dachverband für Natur- und Umweltschutz errechnet, bringen ca. 80 Menschen pro Jahr in Südtirol einen vorzeitigen Tod. Was für ein Engagement müsste uns hier einen, um diese absurde Zahl zu senken! Wenn nur ein Bruchteil der Energien, die in das Schwarzmalen rund um die Impfraten gesteckt wurden, in die Sensibilisierung für dieses uns alle angehende Thema geflossen wären, dann gäbe es vielleicht irgendwann weniger Aufjaulen bei jedem Versuch, den Verkehr einzudämmen oder die Geschwindigkeiten zu reduzieren. Indessen bleibt das Auto in der Südtiroler Mentalität unangetastet zentrales Element der Mobilität und wohl immer noch auch, zumindest bei den älteren Generationen, des eigenen Status. Zugleich ist es einer der größten Verarmungsfaktoren, aber auch das ist ein ungeliebtes Tabuthema. Alle wollen zurück zur Natur, lautete ein Spruch aus den Gründungszeiten der grünen Bewegung. Nur nicht zu Fuß. Daran hat sich leider noch nicht viel geändert.
Ich verweile noch kurz beim Thema Natur. Natur, soviel ist inzwischen klar geworden, ist in dieser Landesregierung Nebensache. LH Kompatscher beschreibt sie denn auch als Erbringerin von „wertvollen Systemleistungen für die Gesellschaft“ und als „herausragenden Standortfaktor für jegliche Entwicklung“. Das ist ein signifikantes Symptom. Dass Natur nicht nur ein Wirtschaftsfaktor ist, etwas das über die Nutzbarkeit seitens der Menschen hinausgeht, das kommt gar nicht in den Sinn.
Mit Nachdruck erinnern wir deshalb als Grüne daran, dass die Natur per se, per se zu schützen ist. Nicht als Erholungsraum, nicht als touristische Kulisse, nicht als Raum für den Menschen, nicht als Quelle der landwirtschaftlichen Erzeugung oder als Energiequelle. Auch als all das natürlich, vor allem aber, ich wiederhole, als Natur an sich. Als Ort des Lebens, der vor uns da war. Immer wieder diskutieren wir in unserem Land über die Natur, als ob sie uns gehören würde. Dabei wird sogar die Schöpfungsgeschichte heute umgedeutet. Der Satz „macht euch die Erde untertan“ wird mittlerweile als Auftrag der Sorge verstanden. Nicht als Freibrief zu Ausbeutung und Übernutzung, sondern als Aufforderung zur Fürsorge und Achtsamkeit.
Südtirol ist ein schönes Land, in dem das Bewusstsein darüber, dass man das auch schützen muss, weit verbreitet ist. Allerdings ist erstens der Landschaftsbegriff vorrangig. Landschaft als gestaltete Natur ist uns meist wichtiger – und akzeptabler, weil wir darin den Eingriff schon mitkalkulieren. Zweitens steht in dieser Perspektive der Mensch über den anderen Lebewesen und natürlich auch über der Natur selbst. Die Diskussion um Wolf und Bär zeigt dies in aller Deutlichkeit auf. Es geht darin nicht um die Nutztiere, die es zu schützen gilt (wenn dies so vordergründig wäre, dann hätte vielleicht auch wenigstens eine Handvoll Landwirte um die Förderung der Präventionsmaßnahmen angesucht!), es geht um die Vormachtstellung. Der Menschen über die Natur, der Landwirtschaft über den Natur- und Biodiversitätsschutz. Mit außerordentlich verwundernswerter Irrationalität wird hier ein Machtanspruch des Menschen gegenüber der Welt der Natur verteidigt, der an längst vergangene Zeiten erinnert. Hier schaffen wir, das ist die Ansage.
In weniger kruder aber doch in der Stoßrichtung ähnlichen Form entwickelt sich das einzige vielleicht erinnerungswürdige Werk der Umweltagenden dieser Landesregierung, das Raumordnungsgesetz. Kompatscher sagt es selbst unverblümt, wozu es dienen soll: 1. Entbürokratisierung, 2. Bürgernähe, 3. Vereinfachung der Verfahren, 4. Rechtssicherheit und 5. Planbarkeit. Wer sich Ziele wie: 1. Schutz des Bodens, 2. Eindämmung der Zersiedelung, 3. Raum als Ressource, 4. Schutz des Gemeinwohls, 5. Transparenz vorgestellt hatte, wird enttäuscht. Die Entstehung des Gesetzentwurfs ist leider kein Beispielprozess für gelingende Partizipation, sondern wohl sehr viel mehr für gelingendes Lobbying.
Wir beschreiben das Ergebnis als Zebrataktik, weil einem vor lauter ständiger Veränderungen die Augen zu flirren beginnen und es einer geht wie der Mücke, die durch dasselbe Phänomen beim Zebra nicht mehr sieht, wo sie hin zu stechen hat. Wir können noch dazu lernen, wie man Partizipation so macht, dass sich am Ende alle ein Stück weitwiederfinden und dass es ein Demokratiegewinn ist und nicht ein Mitbestimmungsfake.
Ist Südtirol heute demokratischer als vor vier Jahren?
Ganz sicher ist zu unser aller Erleichterung die 6-Uhr-früh-Demokratie, eine völlige Verfehlung des Demokratiekonzepts, abgeschafft worden. Allgemeine Rückmeldung ist allerdings aber auch, dass sie keine Ersetzung gefunden hat. Eine der häufigsten Klagen im Land ist die fehlende Erreichbarkeit (die schon!) der Landesregierung. Deren Mitglieder sind zwar allesamt sehr fleißig unterwegs, anscheinend hapert es aber mit den Sprechstunden und auch mit dem Beantworten der Bürgeranfragen. Immer wieder wird uns rückgemeldet, dass man unerhört lange warten muss, um einen Termin beim LH oder einem Landesrat zu erhalten. Mails bleiben unbeantwortet.
Dass nun alles langsamer geht, ist in Südtirol Common Sense geworden. Von der Luisschen Dezisionitis ist man, so heißt es im Land, zu einer Art Stillstand gekommen, der kontrastiert mit den Erfolgsmeldungen, die uns dank Pappalardischer Amplifizierung unaufhörlich erreichen.
Nun braucht Demokratie auch Zeit und Partizipation Weile, wir haben da jegliches Verständnis. Die Frage ist jedoch, ob sich auch die Mechanismen, insbesondere jene der Entscheidung im Land nicht nur verlangsamt, sondern auch demokratisiert haben. Auch hier gilt: vordergründig ja. Es hat eine nie da gewesene Welle an Volksabstimmungen gegeben, die Südtirol stark verändert haben. Ein Dorf hat über die Verwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden abgestimmt und damit eine Welle ausgelöst, die weit über unser Land hinausreicht und granitisch geglaubte Gewissheiten und Vormachtstellungen zum Bröckeln gebracht haben. Es raschelt ganz schön im Gebüsch seitdem. Die Nervosität von Landesrat Schuler, der gleich schon das Münchner Umweltinstitut geklagt hat, ist ein kleines Indiz für die Bewegung mit einhergehender Verunsicherung, die ins Südtiroler Establishment gekommen ist.
Wir alle stellen fest: Demokratie kann auch wehtun.
Diese Erkenntnis, und auch die für Mehrheitsmitglieder ungewohnte Frustration des Verlierens, hat leider auch zu einer inneren und oft regelrecht vehementen Ablehnung der direkten Demokratie geführt. Bei manchen Kolleginnen und Kollegen mutiert das Volk, bei den Wahlen begehrte und umworbene Braut, die einem das Jawort geben soll, während der Legislatur zu einer inkompetenten Masse, die es sich leistet, Vorschläge der Gewählten oder gar schon Beschlossenes abzulehnen.
Es ist verständlich, dass direkte Demokratie ganz anderen Mechanismen folgt als die repräsentative. Es ist auch so, dass es theoretisch (theoretisch!) möglich wäre, dass sich durch das Zusammenfinden von VolksverteterInnen, die sich auch, ja vor allem!, auf menschlicher Ebene nahe kommen, gute Lösungen und Kompromisse erarbeiten lassen, die durch krasse Volksabstimmungen, JA oder NEIN, nicht möglich sind. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie oft passiert das in Wirklichkeit? Wie oft wird diese potentielle Qualität der Vertretungsdemokratie genutzt? Ich erinnere eine Handvoll Episoden: der Gesetzentwurf zur direkten Demokratie und Partizipation ist eines der wenigen Beispiele für eine neue Art Politik zu machen, gerade indem man Polaritäten in ein produktives Nebeneinander stellt. Das Wahlgesetz ist vielleicht ein weiterer Fall, wo die Lösungen tatsächlich in einem kleinen Konkordanzversuch gefunden wurden. (Wir haben da übrigens die Frauenvertretung für den Landtag mit vereinigten Klauen verteidigt!, nur nebenbei gesagt – wir sind ja beim Thema Demokratie).  In beiden Fällen war die Situation wirklich so ausweglos geworden, dass man sich auf Experimente des Zuhörens und Zusammenarbeitens eingelassen hat.
Einsame Sternstunden waren das allerdings.
Daher ist der Ruf aus der Bevölkerung nach einer einfacheren und zugänglicheren Handhabe der direkten Demokratie ein verständlicher Ruf. Er hat uns dazu geführt, auf kleinem Fuß und trotz vieler Hürden den wohl innovativsten demokratischen Prozess ins Leben dieser Legislatur zu rufen und ein Gesetz parteiübergreifend und mit der Bevölkerung zu schreiben. Wie bei jeder echten Erneuerung gab es Belächelung, Verniedlichung und Verhinderungsversuche – doch wir wissen, dass die Geschichte unserem Prozess den Platz zuweisen wird, den er verdient. Nun gilt es diesen noch würdig abzuschließen – und das wird der echte Prüfstein der Landesregierung, auch des Landeshauptmanns im Bereich Demokratie sein. Die ersten Aussagen in den Medien zum Gesetzentwurf sind entmutigend und führen die Partizipationsversprechen ad absurdum.
Wir warnen davor, das Gesetz zu direkten Demokratie, Partizipation und politische Bildung nicht ernst zu nehmen, zu verschubladen oder auf eine leere Hülse zusammenzustutzen. Dies wäre erstens einmal eine unverdiente und unfaire politische Verstümmelung meiner Kollegin Amhof, die als Präsidentin des 1. Gesetzgebungsausschusses die Erstunterzeichnerin des Gesetzes ist. Zweitens wäre es eine Geringschätzung für den Pionierprozess, den dieser Ausschuss gestaltet hat. Drittens, am gravierendsten, wäre es eine Bankrotterklärung für jegliche Partizipationsversuche in unserem Land und auch eine Absage an etwas vom Wundersamsten, das in Südtirol auf politischer Ebene je passiert ist, nämlich, dass über 10.000 Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Unterschrift eine Gesetzesinitiative des Landtages unterstützt haben. Ein solcher Schulterschluss zwischen Legislative und Volk verdient Würdigung und ist Auftrag an uns in diesem Haus, etwas Gutes daraus zu machen. Diese kleine Hoffnung, die in Zeiten der Politikverdrossenheit aufgekeimt ist, die darf nicht enttäuscht werden. Auch wenn sich Politik dadurch verändern wird, auch wenn vielleicht unsere Rolle als VolksvertreterInnen weniger gewichtig werden könnte – wir dürfen die Zeichen der Zeit nicht übersehen. Sehen wir die neuen Formen der Partizipation und der direkten Demokratie doch als Entlastung, als Befruchtung eines politischen Systems, in dem wir selbst verhärmen und erstarren.
Damit sind wir wieder bei der Offenheit angelangt, die uns so gut täte.
Voglio infatti concludere con il concetto di apertura, con cui ho iniziato il mio discorso. Noi che ogni anno contiamo le parole-chiave del discorso del Presidente abbiamo notato con interesse una new-entry di quest anno ed è la parola gemeinsam. Stupisce un po‘ questa evocazione del collettivo e ci si chiede ripetutamente: Chi sono queste varie parti che devono costruire, agire, lavorare, pensare insieme?
Poteva essere la legislatura dei grandi passi verso la vera convivenza in Alto Adige Südtirol. I segni c’erano, i presupposti anche. Persone nuove, giovani, una generazione più in là rispetto alle grandi ferite del secolo scorso, sono stati eletti alla guida di questa provincia. La SVP con una forza di centro-sinistra che puntualmente prima delle elezioni scopre l’ambiente, la solidarietà sociale e la scuola plurilingue. Dopo non si sente più nulla. Letteralmente. Ad ogni discorso di bilancio abbiamo chiesto, implorato il PD di farsi sentire ogni tanto, quando abbiamo bisogno di lui.
Non noi come Verdi, ma noi come parte di società che chiede un maggiore contatto, una maggiore coesione, un po’ di convivenza oltre al condominio Südtirol. Invece nulla. Assistiamo, anche in questo Consiglio, ai continui attacchi alla convivenza e alla dignità di chi in questa terra parla italiano. Colpo dopo colpo, con proposte fantasiose come le magliette neutre per gli atleti altoatesini fino alla cancellazione di fondi per chi usa toponimi di Tolomei, la destra tedesca spinge il discorso ogni volta un po’ più in là. Verso la marginalizzazione degli italiani. Non ci si accorge subito. Ma io il disprezzo verso gli italiani lo sento, qui dentro e fuori e sempre di più. Lo noto quando si alza il livello di rumore quando qui parte una voce italiana. Lo noto come si ridacchia nei dibattiti quando si parla degli italiani. Lo noto dalle facce infastidite di politici tedeschi quando parlano dei colleghi italiani o della politica italiana o dello Stato italiano o addirittura della cultura italiana, persino di Dante! È un’umiliazione continua che osservo e voglio rilevarla. Ho sentito dire a Laives che i bambini devono essere schedati a 2 anni perché non invadino l’asilo tedesco. Ho sentito dire in questo consiglio con preoccupazione che pare che sia arrivata in Sudtirolo addirittura la Befana. Ho sentito dire che la doppia cittadinanza sarebbe una bellissima cosa. E chi se ne frega che questa bellissima cosa resta preclusa agli italiani.
È tremendo tutto ciò. Viviamo in una terra in cui potremmo scoprire tutto, gli uni, le une, degli altri, delle altre. E invece ci chiudiamo. Lo Studio Kolipsi è uno choc, per tutti noi. I nostri giovani non sono curiosi di conoscere quell’altro mondo, vicino, dall’altra parte del Talvera. Hanno paura e imbarazzo.
Qui sta il più grande fallimento della politica sudtirolese-altoatesina, non c’è dato o statistica o piano performance che tenga. Abbiamo il diverso, das Andere, ciò che ci fa capire chi siamo veramente, davanti alla porta, e lo respingiamo. In Sudtirolo si preferisce dirsi, tra sé e i simili, quanto si è bravi.
Ma l’altra metà del mondo, qualunque essa sia, la si rimuove. C’è qualche spiraglio, la scritta di Hannah Arendt che zittisce il comando di Mussolini ad esempio, ma nella vita quotidiana i mondi restano separati e in molti di noi resta il sospetto che questo non sia dovuto a incapacità ma a una precisa volontà. Forse semplicemente perché conviene politicamente.
Che brutto pensiero.
Conveniva essere aperti, come avevate promesso, osare, come avevate detto nel 2013. Il chiudere le vostre porte non ci chiuderà mai fuori, il chiudere le vostre porte può solo chiudervi dentro, recita una scritta da graffitto piena di saggezza.
È il momento per prendere finalmente la decisione giusta. Quella di non tornare al passato, ma quella di aprire la nostra piccola terra in mezzo alle Alpi al mondo, alla modernità, al futuro.
Grazie. Danke.
Brigitte Foppa

Rede von Hans Heiss zum Haushalt 2018
Das Finale der Legislatur 2014-2018 des Südtiroler Landtags hat begonnen. Zeit also für eine Bewertung nicht nur des Haushalts 2018, sondern auch der letzten 4 Jahre, der Ära Kompatscher-Achammer, die Anfang 2014 den Auftakt genommen hat. Wir begnügen uns also nicht mit dem Blick auf die stattlichen Zahlen des vorliegenden Dokuments, sondern halten auch Rückblick auf den eingeschlagenen Kurs, der eingehende Bewertung verdient.
Die Haushaltsrede von Landeshauptmann Kompatscher fasst die Erträge der Legislatur zusammen und unterlegt ihnen als tragenden Grundakkord und Leitmotiv „Sicherheit“: Sicherheit auf allen Ebenen: Von der Autonomie, den Finanzen bis hin zur öffentlichen Sicherheit. Dabei ist dieses Leitmotiv ebenso Bilanzkennwort wie auch Selbstermutigung, in der Hoffnung, in gefahrvollen Zeiten, weiterhin in sicherem Fahrwasser zu navigieren. Nicht mehr viel ist übrig geblieben vom Schlachtruf der Regierungserklärung, die Anfang 2014 unter die Fanfare gestellt wurde: „Mehr Eigenständigkeit wagen“.
Anstelle des Muts zur Freiheit und individuellem Risiko ertönt nun der Sicherheitsappell, mit Landesregierung und Mehrheitsparteien als Garanten der Sicherheit, als der eigentlichen Schutzmacht der Südtiroler. Und darin eingeschlossen ist auch der Appell an die Wählerinnen und Wähler des anbrechenden Jahres 2018, ihre Wahl auf der sicheren Seite zu treffen. Die SVP verspricht Sicherheit – das erinnert an die Walkampfparolen der CDU in der gefahrvollen Epoche des Kalten Kriegs, die damals, zu Adenauers Zeiten lauteten: „Keine Experimente!“
Sicherheit ist gewiss ein Eckstein für die Entwicklung und Zukunft unseres Landes, aber die mantraartige Wiederholung in der Haushaltsrede wirkt auch lähmend: Will Europa, wollen Italien und Südtirol Zukunft gestalten, sind neben dem Grundrecht auf Sicherheit vor allem Mut und Lernfähigkeit gefragt, ebenso Neugier und Offenheit. Noch bedenklicher aber, dass die Sicherheitsparole auch eine Zukunftsangst verbirgt, die in Südtirol grundlegend spürbar ist und diese Gesellschaft lähmt. Und Angst – so eine Binsenweisheit – ist der erste Feind der Freiheit.
Beim ersten Hinsehen ist die Bilanz der ersten vier Jahre durchaus beeindruckend: Ende 2013 hätte niemand darauf gewettet, dass Südtirol wieder nahe der Vollbeschäftigung halten würde. Niemand hätte mit Blick auf den Haushalt zu hoffen gewagt, dass die finanztechnischen Lecks der Ära Berlusconi-Monti wieder geschlossen würden, kompensiert durch neue Haushaltssicherheit und Einnahmen. Niemand hätte vermutet, dass ein wahres Füllhorn an Kompetenzen und Zuständigkeiten einen warmen Regen über Südtirol und das Trentino ausgießen würde, vom Sicherungspakt über die Konzession der A-22 bis zum „Heimholen“ des Stroms, um nur eine kleine Blütenlese aufzubieten.
All dies und noch mehr ist eingetreten, getragen von einem stattlichen Wirtschaftswachstum, das die Sorgen der Jahre 2008 bis 2013 beinahe vergessen macht. Neuer Mut zum Risiko, Investitionsfreude haben wichtige Sektoren erfasst.
Die neu erwachte Nachfrage zeigen sich an übervollen Autobahnen und Weihnachtsmärkten, am druckvollen Bauboom, der Eröffnung erweiterter Unternehmen und neuer Hotels. Der Erfolg ist Resultat eines aufgehellten wirtschaftlichen Horizonts, aber auch Ergebnis umsichtiger wirtschaftspolitischer Setzungen durch die Landesregierung. Entlastung statt Subvention, offenere Rahmenbedingungen, ökonomische Ermutigung statt Gängelung, wie noch gängiger Usus in der Ära des unvergessenen Altmeisters, dessen Gepolter in der aktuellen Polit-Szene immer noch nachgrummelt.
Dennoch, trotz aller Erfolge liegt über dem Land auch eine Atmosphäre von Unsicherheit, von Entmutigung und Verbitterung. Sie ist spürbar hinter mancher Euphorie, hinter wieder erwachtem Lebensgenuss und neuer Gier. Sie ist begleitet von einem historisch einmaligen Misstrauen gegenüber der Politik, der auf nationaler Ebene so gut wie keine, aber auch auf der Ebene unseres Landes schwindende Lösungskompetenzen zugetraut werden.
Das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in die Zukunft ist brüchig, das Gefühl, dass der Boom nur kurzfristig dauern und der Friede faul sein könnte, ist als gesellschaftliche Grundstimmung spürbar. Es ist dies Teil einer europaweit fühlbaren Sorge darüber, dass das Ende einer Ära erreicht ist.
Die bislang gültige Zentrierung auf den Westen und Europa gehört der Vergangenheit an, ob wir wollen oder nicht. Die Absenz der USA in zentralen Handlungsfeldern, das erratische Wüten des US-Präsidenten und die Schwäche der EU tun das Ihre dazu, dass sich Krisenlagen nicht abschwächen, sondern verschärfen. Neue Akteure führen Regie, darunter das autoritäre Duo Putin und Erdogan, erst recht das China Xi-Jin-Pings, das überall in der Welt in Anlagegütern und Machtpositionen investiert, auch in Bozen und Südtirol. Gegen diese Invasoren, die über die Neue Seidenstraße lautlos einmarschieren, regt sich kaum Widerstand, anders als bei Flüchtenden und Migranten, dabei sorgt diese Immigration für kaum geringeren Wandel.
Der neue Horizont taucht auch Südtirol in ein anderes, in ein befremdendes Licht: Eine fahle Stimmung liegt auch über unserem Land, wie bei einem Föhn, der hell leuchtend wärmt und alles glasklar wirken lässt, aber nur einen Wetterumschwung, oft einen jähen Wettersturz verkündet. Darauf kommen wir noch.
Vorerst aber ein engerer Fokus: Die letzten vier Jahre haben nicht nur die gute Hand von Landesregierung und Landeshauptmanns bewiesen, sondern auch eine Kette von Missgriffen und Fehlsteuerungen generiert, die zu beschönigen sich nicht nur der Opposition verbietet.
In fünf Feldern zeigen sich Unsicherheit und Verärgerung bei Bürgerinnen und Bürgern, oft auch ein Ausmaß an Gereiztheit, das nicht mehr vergeht und deren Bearbeitung für die nähere Zukunft vordringlich ist und dies in fünf Bereichen:
(1) Im Bereich der Autonomie, (2) der Landesverwaltung, (3) der Gesundheit, (4) der Sozialen und schließlich (5) auf dem Feld der Migration.
Im Bereich Autonomie ist die Erfolgsserie, die der Landeshauptmann aufgefächert hat, beeindruckend. Die Erträge, wie in der Haushaltsrede aufgeführt, sind außerordentlich und reißen nicht ab. Aber trotz der Anerkennung für Sicherungspakt und die 16 DFB aber bleibt unbeachtet, dass die Erfolge von einem großen Verlust begleitet sind. Die Erträge sind der Gewinn einer Handvoll Entscheidungs- und Machtträger, die wie Croupiers am Spieltisch der Autonomien sitzen und die gewonnenen Chips ins Land holen. Bürgerinnen und Bürger aber stehen am Spieltisch und blicken beeindruckt auf die Gewinne, die auch in ihrem Namen „heimgeholt“ werden, aber im ein wenig deprimierenden Wissen, dass sie nur Zaungäste eines Spiels sind, das sie nur begrenzt durchblicken.
Denn inzwischen hat sich die Hoffnung auf eine Autonomie der Bürgerinnen und Bürger weit gehend verflüchtigt. Die großen Erfolge der Autonomie in den verflossenen Jahren sind nicht der Effekt breiter Partizipation und innerer Anteilnahme möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger aller Sprachgruppen, vielmehr stehen sie für die Durchbrüche politischer Eliten, mehr noch, einer handverlesenen Gruppe von Machtträgern: des Landeshauptmanns, von Senator Zeller, Gianclaudio Bressa, dazu von Magnago II und Daniel Alfreider, dessen knebelbärtiger Charme, bald auch den Landtag erhellen wird.
Ihr Einsatz relegiert nicht nur das Gros von Bevölkerung und Partei, sondern auch die übrigen Parlamentarier und Regierungsmitglieder in die Rolle von Statisten, so sehr sich auch Abi Plangger, Renate Gebhard und der ergraute Hans Berger, dem wir übrigens zum Siebziger gratulieren, Francesco Palermo und „unser“ Florian engagieren, um zumindest als Komparsen bella figura zu machen.
Sie und wir blicken staunend auf die Erfolge, die – oft unerwartet – vom Olymp der Macher, der Regiekabine Kompatscher-Zeller wie Konfetti auf das staunende Volk, auf uns herabregnen, auch endlos-zähem Ringen erwachsen wie die Autobahnkonzession. Der Anfang 2013 geschlossene Pakt-SVP-PD wurde nicht nur sorgsam abgearbeitet, mehr noch, er wurde übererfüllt.
Was hingegen unterbelichtet blieb, ja sogar Besorgnis erregend abmagerte, war die Bürgerbeteiligung. Denn nunmehr, bald zwei Jahre nach Auftakt des Autonomiekonvents, ist deutlich geworden, welches Maß an Energie und Hoffnungen daran geknüpft waren. Diese Hoffnungen sind nun zerschellt, schubladisiert in einem Haupt- und drei Minderheitenberichten, die mehr den Charakter einer Beschäftigungstherapie tragen als den eines operativ wirksamen Dokuments, so sehr Konvents-Vorsitzender Tschurtschenthaler auch mit schmelzender Stimme den Erfolg der Arbeiten verkündet hat.
Aber immerhin hat der Konvent die inneren Kräfteverhältnisse in Südtirol zutage gefördert: Er demonstrierte zum einen die Stärke der sog. volkstumspolitischen Achse zwischen SVP und deutschpatriotischen Parteien, zugleich aber auch die lähmende Ohnmacht und die deprimierende Resignation der italienischen Sprachgruppe. Die autonomiepolitische Schieflage, mehr noch: die rachitische Schwäche der italienischen Parteien und die ethnische Unwucht traten auf dem Diagnosetisch des Konvents deutlich hervor. Unwucht und Schieflagen erwiesen sich nicht als zufällige und beiläufige Symptome, sondern als Grundkoordinaten der Südtiroler Gesellschaft.
Grüne Politik hat hier in der Persönlichkeit von Riccardo Dello Sbarba entschieden und mit Augenmaß dagegen gehalten. Der vielfach gewürdigte Einsatz unseres Kollegen hat nicht nur die Bruchlinien im Konvent und Gesellschaft scharf diagnostiziert, sondern in kompetenter Kooperation mit Laura Polonioli auch Alternativen zum Dokument der Mehrheit eindrucksvoll vorgestellt und bei Vertretern des PD einen Nachahmer-Effekt erzeugt.
Im Konvent tat sich zuvörderst Alt-LH Luis Durnwalder als Spaltpilz hervor, der die Implementierung der Selbstbestimmung, christlicher Werte und der Abschaffung der Region mit bewährter Stentorstimme einforderte, mit großem Gehör bei Öffentlichkeit und Medien. Von den Deutschpatrioten von Schützen und Selbstbestimmten freudig auf den Schild gehoben, versäumte Durnwalder keine Gelegenheit, um der aktuellen Regierung und zumal seinem Nachfolger, nicht zuletzt dem Obmann seiner Partei eins auszuwischen oder auch reinzuwürgen, um es in der Diktion unserer blauen Freunde zu sagen.
Der jüngste Geniestreich dieser merkwürdigen D-D-Allianz, von Durnwalder und Deutschpatrioten, ist der Vorstoß in Sachen Doppelpass. In dieses Anliegen, das die STF mit Nachdruck seit 2010 vorantreibt, stimmten nicht nur starke Teile der SVP-Landtagsfraktion ein, sondern auch der Verflossene schwang sich auf dieses Schlachtross, um damit ein Thema aufzugreifen, das wie ein anderes geeignet ist, unsere Gesellschaft zu spalten.
Geteilt hat das Thema vorerst nicht die Südtiroler selbst, die es bei aller Aufregung zum erheblichen Teil kalt lässt, da sie anstelle eines Doppelpasses lieber ein Viertel mehr Verdienst hätten.
Geteilt hat das Thema sondern vor allem die SVP, die sich in dieser Hinsicht wieder einmal als das bewiesen hat, was sie wirklich ist: Ein Mirakel der Widersprüche.
Die Haltung der Mehrheitspartei, Wasser zu predigen und Wein zu trinken, lässt sich am besten in einem Bild beschreiben, das der längst vergessene Kris Kristofferson einst dem Country-Sänger Johnny Cash gewidmet hat, in einem Porträt, das auch auf die edelweiße Position perfekt zutrifft. Die Hommage auf Johnny Cash schließt mit der unübertrefflichen Charakteristik::He’s a walking contradiction, partly truth and partly fiction. So ist auch die SVP – Ein wandelnder Widerspruch, Wahrheit und Wahn zugleich.
Als lebender Widerspruch, halb wirklich und halb erfunden, ja surreal, so präsentiert sich die Haltung der SVP in der zentralen Frage Doppelpass: In ihr geht es nicht um ein Optional für waschechte Südtiroler, sondern um den authentischen Versuch, voran getragen von den Freunden der STF, die Gesellschaft Südtirols nicht nur zu spalten, sondern sie vielmehr zu filettieren – in Anwärter auf einen Doppelpass, in Berechtigte und nicht Berechtigte, in Südtiroler der Serie A + I und jene der minderen Kategorie I.
Darin hat die STF Übung: Dass sich aber große Teil der SVP auf dieses Spiel im Doppelpass einlassen, ohne die Konsequenzen in aller Radikalität zu Ende zu denken, bezeugt vor allem eines: Jenseits der Kategorien des Mehr und Mehr hat die Partei offenbar verlernt, zentrale Fragen bis zum Schluss durch zu überlegen. Und dabei kommt die Konfliktscheu des Obmanns sehr zupass, der sich regelmäßig – um des lieben Friedens willen – zu haarsträubenden Formeln versteigt, über die dann – wie im Falle vin Doppelpass-  der europäische Geist als emotionale Glasur gestrichen wird.
Aber der Kern ist jener: Aus einer Autonomie der Bürgerinnen und Bürger, auf die wir noch zu Beginn der Ära Kompatscher hoffen konnten, ist mehr denn je eine Autonomie der Macht und der Eliten geworden, frei nach dem Motto von Kaiser Joseph II: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk“. So ist das Füllhorn der Autonomie, das nunmehr seine letzten Gaben ausschüttet, da wieder magere Zeiten drohen, zwiespältig geblieben. Die Autonomie als ein zwar geschätztes, aber für den Bürger-Alltag nicht fassbares Instrument, ein Steuerrad des Gemeinwesens, das vor allem die deutsche und ladinische Sprachgruppe in Händen halten.
An Katalonien mag man aus Grüner Sicht viel kritisieren, zumal die vom LH erwähnte Brechstange von Puigdemont und Co. Nicht zu zweifeln aber ist im Falle Catalunyas an der Existenz und Handlungsfähigkeit einer aktiven Bürgergesellschaft, nach der wir auch in Südtirol Ausschau halten. Stattdessen aber verzieht sich die Gesellschaft allzu oft ins Private, ins Ehrenamt von Vereinen und Verbänden, nur zu gern in die Echokammer der asozialen Medien, aber nicht in aktives Eintreten für die Res publica. Der Wunsch nach Sicherheit, auf den die Haushaltsrede so stark abhebt, bedeutet in unserem Lande, in seiner Gesellschaft eine Haltung des steten Rückzugs, von Fleiß und Hilfsbereitschaft ohne Engagement. Von wegen „Mehr Eigenständigkeit wagen“, wie noch 2014 in der Auftaktrede des neuen LH ausgerufen, stattdessen wird weiterhin der starke Leader gewünscht mit einer Emphase, die auch LH Kompatscher längst in einen „Arno allgegenwärtig“ verwandelt hat, in der Nachfolge von Luis dem Landesweiten.
Der zweite Arm der Autonomie neben Legislative, Regierung und Bürgern in ihrem politischer Handeln ist die Landesverwaltung: Ihr hat die Haushaltsrede bemerkenswerte Aufmerksamkeit gewidmet. Vorab die Zahlen: Der engere Bereich der Landesverwaltung mit ca. 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Hilfskörperschaften, die Schule mit Lehrern und anderweitig Beschäftigten und schließlich das Gesundheitswesen, mit 9000 Personen. Insgesamt erreicht der Mitarbeiterstand ca. 30.000 und damit – militärisch gesprochen – doppelte Divisionsstärke.
Es sind mehrheitlich Frauen, die in der Landesverwaltung arbeiten, sodass dieser Sektor auch ein gerüttelt Maß an Frauenpolitik in Südtirol verantwortet. Daher bleibt auch grundlegend, dass die öffentliche Verwaltung im Bereich der Frauenrechte Beispiel gebend vorangeht, dass sie nicht Rechte abbaut, sondern als Stachel im Fleisch der privaten Wirtschaftssektoren wirkt. Diese mögen das größere Ausmaß an Teilzeit oder den ausgedehnteren Mutterschutz bzw. rudimentären Väterschutz als ungerecht empfinden, auch als uneinholbare Differenz. Das ist verständlich, sie sollten aber die Vorgaben vor allem als Orientierung betrachten, die es nachzuahmen gilt.
An der Landesverwaltung Südtirols ermisst sich zu einem guten Teil die Qualität der Autonomie, ihre Leistungsstärke ist auch der Gradmesser für den Erfolg unseres Autonomie-Modells. Wenn Sachbearbeiter und Sekretariate, wenn Lehrer und Direktionen, wenn Förster und Straßendienstarbeiter gut arbeiten, ist viel gewonnen, während andernfalls Leistungsabfall, Zeitverlust und Ressourceneinbußen drohen. Dies gilt erst recht für das Personal im Gesundheitsbereich, das für einen besonders sensiblen Sektor verantwortlich zeichnet. Und diese Bemerkungen gelten vor allem für die Führungskräfte, von deren Einsatzfreude, Ideen und Organisationskraft das Fortkommen der Autonomie, mehr noch das Wohlergehen Südtirols und seiner Bewohner wesentlich abhängt.
Wir begehen keine Diskriminierung, wenn wir festhalten: Die landeseigene Verwaltung liegt kirchturmhoch über dem Standard vieler staatlicher Einrichtungen, in puncto Bürgernähe, Effizienz und rascher Finalisierung. Das liegt an Motivation und Leistungsbereitschaft vieler Mitarbeiterinnen, deren Qualität oft genug positiv erstaunt. Nur wenige Beispiele: Die traumwandlerische Sicherheit eines Sachbearbeiters im Bereich Mobilität, der sämtliche Fahrpläne Südtirols im Schlaf herunter betet wie er deren Optimierungspotenzial kennt, die Urteilssicherheit von Expertinnen der Raumplanung, die ökologische Verantwortungsbewusstsein im Bereich der Umweltagentur, den juristischen Sachverstand auf vielen Ebenen, die Bemühungen um Verwaltungsvereinfachung.
Die jeweiligen Akteure und ihr dynamisches Handeln bekunden eine Hingabe nicht nur für das jeweilige Arbeitsfeld, sondern auch ihre Verantwortung für den guten Zustand der Autonomie des Landes, für das sie arbeiten, leben und oft genug auch  brennen.
Keine Frage auch, dass soviel Einsatz auch starke Nischen der Gleichgültigkeit, von Demotivation und Frustration gegenüber stehen. Gewiss, solche Bruchstellen gibt es nicht nur bei der öffentlichen Hand, sondern auch im privaten Bereich. Was aber besondere Sorgen bereitet, ist der Eindruck, dass Motivationsschwäche und Lustlosigkeit in den letzten Jahren sichtbar zugenommen haben.
Eine Verwaltung ist stets so gut wie ihre Führung: Sind daher leitende Positionen mittelmäßig oder sogar dürftig besetzt, dann fressen sich die Schwächen des Managements sofort nach unten durch. Sie zeigen Negativfolgen in Motivations- und Leistungsabfall, in Gleichgültigkeit und Aggressivität gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Sie beweisen sich dann aber auch in mangelnder Innovationsfähigkeit, die gerade für die Öffentliche Verwaltung grundnotwendig ist.
Wir sehen mit Sorge, wie in manchen Abteilungen und Amtsdirektionen Unlust Regie führt, wie sich Frust breit macht über das ungeklärte Zusammenwirken von Politik und Verwaltung, deren Ingerenz immer wieder spürbar ist. Wenn rechtliche Grundlagen und administrativ bewährte Praktiken auf politische Ziele hin geformt und zugeschnitten werden, dann schwächt dies langfristig die Verwaltung und die Kontinuität ihres Handelns.
Und erst recht gilt dies für die Auswahl der Führungskräfte, die mitunter auch in auffälliger Manier politischer Opportunität folgt. Lesen wir etwa das Interview der designierten Schulamtsleiterin in der letzten tageszeitung, so suchen wir vergeblich nach Profil und gefestigten Ansichten zur Schulentwicklung und ihrer Zukunft, nach einem geschärften Problembewusstsein im Zeichen von Migration und Digitalisierung sondern treffen vor allem beliebige Wellnessformeln von erschreckender Leere.
Die Aufgabe der ausgehenden Legislatur, vor allem aber der künftigen Periode ab 2019 wird es sein, die Landesverwaltung zu requalifizieren, zu motivieren und sie auf die digitale Zukunft nicht nur vorzubereiten, sondern sie in Südtirol zur Vorreiterin zu machen. Dieser durchgreifende Relaunch der Landesverwaltung wird umso notwendiger sein, da sich die Zahl der Mitarbeiter gewiss reduzieren wird. Zum einen aus Gründen der Einsparung, dann auch aus demografischen Motiven, die den Arbeitsmarkt auch für die alternde öffentliche Verwaltung leer fegt.
Diesen Prozess aufzunehmen und stärker denn je zu begleiten, wird über einen wesentlichen Aspekt der Autonomie entschieden, nicht nur im Hinblick auf den Kostenfaktor der Gehaltspositionen in Höhe von über einer Milliarde Euro.
Dies gilt besonders für das Gesundheitswesen. An dieser lange Zeit überaus bewegten Front herrscht nach dreieinhalb Jahren wieder ein wenig Ruhe, die aber eher so wirkt, als wären die Kontrahenten nur ermattet, ohne dass wirklich Frieden und dauerhafte Lösungen eingekehrt wären.
Lassen Sie mich vorab ein Wort an die Landesrätin richten: Zu Beginn der Legislatur war leicht absehbar, dass nun eine Gesundheitsreform von einschneidender Größenordnung kommen würde. Der LH hat Martha Stocker diese Aufgabe ebenso anvertraut wie die Agenden des Sozialen, des Sports und der Arbeit, also ein wahres Monsterressort, ganz so, als hätte sie nach der langen Durnwalder-Durststrecke, der sie von der Regierung fern hielt, sichtlichen Nachholbedarf.
Dass es dick kommen würde, war also gewiss, das Ausmaß der Herausforderungen hat die Befürchtungen der Amtsträgerin dann aber weit übertroffen. Nicht nur die Gesundheitsreform, sondern auch die ab Herbst 2014 einsetzende Flüchtlingsfrage hat als tonnenschwere Last die Schultern der Amts- oder besser Kreuzträgerin niedergedrückt. Die Herausforderungen wurden verstärkt durch die jüngst aufgeflammte Impfdebatte. Landesrätin Stocker hat all dies auf sich genommen, mit einem eisernen Pflichtbewusstsein, dem man die Bewunderung nicht versagen kann. Als kleine Dreingabe hat sie sich letzthin sogar noch das Thema Wolf als Kür aufgehalst und sich damit ein Südtiroler Lieblingsthema aufs Auge gedrückt.
Für die Mehrheitspartei bedeutete die Bürde, die Martha Stocker zu tragen hatte, jedoch Entlastung. Dass sie sich als Mater dolorosa oder besser Martha dolorosa bereitwillig alle sieben Plagen auflud, zog vor allem ihr den Zorn und die Giftpfeile von Öffentlichkeit und Opposition zu, während sich die Landesregierung und Mehrheit zwar nicht durchwegs, aber oft genug hinter dem Hitzeschild der Schmerzensrätin verbergen konnte. Dass sie den Kopf hin hielt, entspricht zum einen ihrem Naturell, ist aber auch bezeichnend für die Rolle, die Frauen in der Politik einnehmen: Auf glühenden Kohlen zu wandeln und sich die Finger zu verbrennen – oft genug für andere. Für die Mehrheitspartei mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass sich die Landesrätin gewissermaßen als Bad Bank einen Großteil der negativen Energie der Bürgerschaft aufhalste.
Ein Lehrstück also, dem einige Fragen folgen müssen: Macht es künftig Sinn, die Monsterressorts von Gesundheit und Sozialem weiter unter dem Dach eines Ressorts zu vereinen? Wäre es nicht zielführender, die in ihrem Gewicht deutlich verstärkten Agenden Soziales, Migration und Flucht als Schwerpunkt in eine eigene Hand zu geben, anstatt die gegenseitige Blockade der beiden Riesenressorts zu riskieren? Die ist für die künftige Legislatur ernstlich ins Auge zu fassen, ohne der Versuchung zu unterliegen, die Öffentlichkeit mit einer kleinen Regierungsteam zufrieden zu stellen.
Die Gesundheitsreform soll nun also greifen, mit dem Vorzug neuer Synergien und unter dem Eindruck anhaltender Personalsorgen. Die Verknüpfung, das Zusammenspiel von Krankenhäusern soll wirken, in der Hoffnung, die Kirchtürme einzuebnen, durch einen Strang breiter territorialer Zusammenarbeit von den Basisärzten über die Sprengel, die Krankenhäuser der Grundversorgung über die Bezirke bis ins Landeskrankenhaus. Dies gelingt aber nur dann, wenn den Bezirken weiterhin eine grundlegende Ebene des mittleren Managements eingeräumt wird, wenn die Bezirksdirektionen nicht den Eindruck haben, nur mehr Schachfiguren der Bozner Zentrale zu sein.
Daher sollten die Ergebnisse, die Bilanzführung mit ihren Kennzahlen weiter auf Bezirksebene sichtbar sein, der Spielraum bei Einkäufen und Einstellungen nicht zu sehr beschränkt werden. Wenn sich auf der Ebene von Brixen, Bruneck, Meran und den kleineren Häuser ein gutes mittleres Management entwickelt, das auch Spielräume, nicht Spielweisen vorfindet, entwickelt, besteht Aussicht, die Herausforderungen der kommenden Jahre zu überwinden.
Zu diesen zählt vorab der Mangel an Ärztinnen und Ärzten, deren Rekrutierung unter dem fünffachen Druck der Pensionierungen, der Nachwuchslücke, der EU-Arbeitszeitregelungen, des Verbots der Gettonisti und der Verlockungen der Privatmedizin auf hohe Hürden stößt. Wenn es gelingt, bereits ab der Matura gezielte Anregung und Begleitung zu geben, wenn die leidige Crux der Facharztausbildung endlich gelöst wird, lässt sich der Mangel vielleicht in Grenzen halten. Aber die Zeichen dafür stehen nicht gut und damit ist ein weiteres zentrales Aktionsfeld markiert, vor dem die Politik auch in Zukunft stehen wird.
Dagegen wird – so ist absehbar – auch in Südtirol der Bereich der Privatmedizin aufblühen, mit der Gefahr, dass eine der Leuchttürme der Autonomie, das wohl funktionierende, allen Bürgerinnen und Bürgern zugängliche Gesundheitswesen mit hohem Niveau zunehmend Risse bekommt. Nachwuchs und Motivation der Ärzteschaft wird nicht nur durch ihre stattliche Gehaltsposition gehoben, sondern vor allem durch neue Rahmenbedingungen und Handlungsfelder, die der Eigeninitiative und Forschung Raum geben. Sie wird aber auch gestärkt durch die Begleitung durch qualifiziertes medizinisches Personal, bei dem wiederum, wie in der Landesverwaltung, Frauen den Hauptpart übernehmen.
Ob die Generaldirektion in dieser strategischen, medizinisch und sozialen Kernfrage nicht nur Antreiberin ist, sondern auch jenes Motivationsformat aufbietet, das heute mehr denn je gefragt ist, ist fragwürdig. Wir sehen den GD vielmehr häufig, nach den Äußerungen der Ärzteschaft, zumal der eben pensionierten Primare, als Motivationshemmer von begrenzter Zugänglichkeit.
An der Frage der Medizin und ihrer zunehmenden Privatisierung und Vorzugsspuren zeigen sich die Haarrisse, die sich in den sozialen Zusammenhalt der Südtiroler Gesellschaft allmählich einfressen.
Es ist keineswegs so, dass die sozialen Systeme Südtirols schlecht aufgestellt wären, verfügen sie doch sozial- und familienpolitisch über eine Reihe von Sicherheitsankern, die vieles abfangen. Mehr noch: dass familienpolitisch Mittel übernommen und Leistungen ausgebaut wurden, kann niemand in Abrede stellen.
Aber es geht um die Kernfrage, warum ausgerechnet jetzt, zu einem Moment der brummenden Hochkonjunktur, in einer der 21 reichsten Regionen Europas, ein Sockel von Armen und Armutsgefährdeten im Ausmaß von ca. 15% verankert bleibt.. Ein Sockel, der sich trotz mancher Anstrengungen des Landes und der öffentlichen Hände nicht auflöst und in den Mittelstand einwandert, sondern in einer Position beeindruckender Dürftigkeit und Not verharrt.
Oft aufgezählt: die hohe Zahl an Mindestrentnern unterhalb der 500-Euro-Schwelle, hinzu kommen jene Personen, die etwa im Juni um die APE, die vorzeitige Pension angesucht und bis heute noch keinen Cent erhalten haben. Alleinerziehende, zumeist Frauen, die Niedriglöhner. Familien in sozial prekären Situation ,mit geringem Bildungsrad und oft nicht in der Lage, ihre persönliche Situation zielgerichtet zum Besseren zu wenden. Kein Wunder, wenn die Finanzielle Sozialhilfe, die Mietbeiträge mehr denn je gefordert sind, wenn dabei auch die Sozialsprengel nicht nur an die Grenze der finanziellen Ressourcen, sondern auch der persönlichen Anforderungen geraten.
Hinzu kommt, dies hat die Haushaltsrede als geradezu elektrisierendes Moment eingebracht, nun noch die Frage der künftigen Sicherheit der Pflege: Zum ersten Mal wird verhalten anerkannt, dass die steuerfinanzierten Mittel für die Pflege nicht mehr ausreichen dürften, dass es notwendig sein wird, auf andere Finanzierungsformen Regress zu nehmen.
Wir kennen die Zahlen: Noch 2006 gab es erst 10.500 Pflegebedürftige, Aktuell sind es bereits ca. 15.500, also rund 5000 mehr: Von diesen wurden vor einem Jahrzehnt 7400 zu Hause gepflegt, 2016 waren es bereits 11.300. Dies bedeutet rapiden Zuwachs, die dürren Zahlen belegen aber auch die starke Belastung der pflegenden Angehörigen wieder von – dreimal dürfen sie raten – Frauen.
Verhalten dagegen das Wachstum der Pflegeplätze in Heimen, die in einem Jahrzehnt  erst von 3100 auf 4100 angewachsen sind. Neben den rasch anschwellenden Kostenpositionen von ca. 250 Mio. ist also die Frage der Belastbarkeit der familiären Netzwerke ein Kernthema und damit verbunden die Bereitstellung von Pflegeplätzen. Die noch im heurigen Frühjahr zugesicherte dauerhafte Fundierung des bisherigen Pflegesystems steht nun zur Disposition, zumindest aber vor einem grundlegenden Wandel.
Damit aber ist klar, dass soziale Systeme und soziale Beziehungen, auch jene der Arbeitswelt, vor einem Umbruch stehen: Die Sozialsysteme bedürfen unter dem doppelten Druck von Demografie und Einkommensschwäche neuer Fundierung, die Lohnsituation in der Arbeitswelt hingegen einer grundlegenden Neubewertung.
Denn dass seit zwei Jahren die Reallöhne wieder steigen, kann den zuvor eingetretenen Verfall und die künftigen Herausforderungen nur begrenzt abfangen. Hier ist ein Nachschlag der Arbeitgeber durch territoriale Zusatzverträge unabdingbar, auch im Hinblick auf die anhaltende Entlastung der Unternehmen durch die Haushaltspolitik des Landes.
Der demografische Wandel, die Einkommensstärkung bedürfen aber auch einer entschiedenen Hinwendung zu Wirtschaftszweigen mit hoher Produktivität.
Qualifizierte und gut bezahlte Jobs gibt es vornehmlich dort, im Bereich der Industrie 4.0, worauf auch jüngst Unternehmerchef Federico Giudiceandrea mit Nachdruck hingewiesen hat. So bedeutet dies, dass Südtirol zur Stärkung seiner wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen den Pfad zum Aufbau industrieller Leitsektoren von hoher und ressourcen schonender Qualität mit aller Energie beschreiten muss: Über alpine Technologie, Lebensmittel und Energie hinaus müssen sich auch andere Branchen neu profilieren und das Exportfenster nützen, das sich in Südtirol seit wenigen Jahren  weit geöffnet hat. Wir wollen hoffen, dass NOI jenes Start-up-Klima in Südtirol schafft, dass wir bislang schmerzlich vermissen.
Die kommende Legislatur steht also vor einer Herkulesaufgabe: Vor dem Umbau der Sozialsysteme, einer Stärkung und besseren Pflege der Arbeitsbeziehungen und einer Neuaufstellung der wirtschaftlichen Produktivitätskerne. Diese drei Handlungsfelder stehen in engem Zusammenhang. Auch mit einer Diskussion über die Rolle des Tourismus, zu der wir Grünen weiterhin unsere entschiedene Position kundtun: Tourismus bleibt zentral für Wirtschaft und periphere Räume, als Brücke zur Landwirtschaft, aber in klar markierten Grenzen. Unsere Landschaft, unsere Umwelt, unsere Natur sind kein Optional und Genussland-Kulisse, sondern konstitutiv für Identität und Autonomie.
Südtirol sollte daher weniger Tirol nachahmen, sondern mehr Baden-Württemberg nachstreben. Kein Genussland werden, das sich am Ende selbst verzehrt, sondern eine ausstrahlungsstarke Region von großer Leuchtkraft, wo Schönheit und Lebensqualität, Produktivität und Innovation, soziale Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt auch der Kulturen und Sprachgruppen ein magisches Dreieck bilden, das auch den Titel ‚Heimat‘ verdiente.
Und Südtirol sollte auch in einem anderen, zentralen Handlungsfeld der Zukunft von beiden lernen, von Tirol und Baden-Württemberg: Dieses Feld ist der Umgang mit Asylbewerbern, Flucht und Migration: In beiden Ländern hat ein rationaler und planvoller Umgang mit diesem Jahrhundertphänomen zu guten Ergebnissen geführt, worauf auch LH Kompatscher verweist. Nicht Alarmrufe und wütende Abwehr, sondern der Einsatz einer rational agierenden Verwaltung, einsatzbereiter Gemeinden und einer lebendigen Zivilgesellschaft lassen Tirol und viele Kommunen von Baden Württemberg ungleich höhere Anforderungen bewältigen, mit dem Erfolg, dass der Umgang mit Menschen auf der Flucht weit besser und planvoller verläuft.
Wir sind überzeugt, dass gegen das Jahrhundertphänomen Migration auf dem europäischen Kontinent keine Zäune helfen, keine zynische Abwehr, keine Lega, AfD oder FPÖ, sondern allein vorausschauende Politik, die die Versäumnisse der Vergangenheit zwar nicht zur Gänze, aber doch in einigen Bereichen wettmacht. Europa, die Staaten und wir werden Migration künftig mehr zu steuern haben, bereits in Afrika durch dort platzierte Hilfe, den Aufbau von Institutionen und Industrien, durch eigenes Konsumverhalten und die Möglichkeit zu begrenzter und gesetzlich gesteuerter Zuwanderung nach Europa unter klaren Kriterien.
Die Grenzen wie in Ungarn, Polen oder Tschechien dicht zu machen, wird auf Dauer nichts nützen: angesichts einer Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent, die bis 2050 von 1,4 auf 2,4 Mrd. Menschen wachsen wird. Da helfen weder Zäune noch Repression, denn längst nicht alle aber ein konsistenter Teil dieser Menschen wird selbst höchste Mauern durchbrechen.
Wir werden in Europa nur durch rasche und zielgerichtete Aufnahmeverfahren, durch die klare Unterscheidung von Asyl und Migration und auch durch Rückverweisung die Bewegungen steuern können. Die aktuelle Situation im Süden Italiens oder auf griechischen Inseln ist nicht nur menschenverachtend, sondern auch kontraproduktiv, da sie Unrecht und Kriminalität produziert statt wirkungsvoller Hilfe. Und auch politische Bewegungen auf den Plan ruft, auf die wir gerne verzichten.
Die Flüchtlingsfrage ist lösbar. Die Zahl der Flüchtenden und Armutsmigranten erreicht weltweit 2017 voraussichtlich 70 Millionen, davon verbleiben 90% im Einzugsgebiet ihrer Herkunftsregion. Drei bis fünf Prozent, etwa 2 Millionen, suchen den Weg nach Europa, davon schaffen es jährlich 250.000. Für diese Ankommenden gibt es bekanntlich ein Verteilungsproblem.
Denn nochmals: die Flüchtlingsfrage ist im Rahmen Europas lösbar: Gewiss nicht durch die vollmundig propagierte Schließung der Mittelmeerroute. Sie wäre eine Maßnahme, so erfolgreich wie der Einsatz eines Spaghettisiebs als Wasserbehälter.
Sinnvoll sind zwei Maßnahmen:
Erstens: Verteilung und Kontingentierung. Wenn jeder der 28 EU-Staaten nach einem bereits ausgehandelten Schlüssel bei der Verteilung zum Zuge käme, wäre die Herausforderung von aktuell 2,5 Mio Migranten und Ásylbewerbern, 0,5% der EU-Bevölkerung, gut zu schultern. Aber wenn sich Staaten gleich im Dutzend von einer Kernaufgabe der EU verabschieden und Solidarität verweigern, sind dann auch Konsequenzen überfällig. Streichung von Strukturfonds, andere Maßnahmen.
Die zweite Aufgabe hieße Kontingentierung: Niemand zweifelt daran, dass es sich beim Großteil der Menschen, die Italien erreichen, um Armutsflüchtlinge handelt. Sie kommen nicht aus Syrien oder Afghanistan, sondern aus Nigeria, Gambia und Senegal, auch aus Bangla Desh. Sie sind meist keine Asylwerber. Ihr Weg nach Europa lässt sich nicht zur Gänze stoppen, das gebieten Humanität und Pragmatismus, die Rücksicht aber auf die eigene Belastbarkeit verlangt es, hier Limits einzuziehen.
Hier hilft der Vorschlag von Gerald Knaus, eines der Architekten des Türkei-EU-Deals:
Mit afrikanischen Staaten wie Nigeria, Gambia, Senegal bestimmte Jahresquoten auszuhandeln, diese mit konkreter und wirkungsvoller Wirtschaftshilfe verkoppeln. Zugleich Abkommen über die Rücknahme der Überquoten zu schließen. Bei selbstverständlicher Fortdauer des Asylrechts. Mit Ansuchen in den Botschaften in den Quellländern, auch allfälligen Hotspots.
Dies würde in ein bis zwei Jahren zu Resultaten führen, da diese in den Herkunftsländern ansetzen würden, nicht aber in Transitstaaten wie Niger oder Lybien, mit seiner zerfallenden Staatlichkeit und dem kalten Schlepper-Business. Damit würde Europa Verantwortung und Humanität beweisen und der eigenen Überforderung, erst recht jener Italiens, ein überfälliges Ende setzen.
Auf einen solchen Rahmen sollte sich Südtirol einstellen: Auf begrenzte Ankunft, die aber weit umfassender und besser zu steuern ist als bislang der Fall. Und mit besser betreuten Asylwerbern Die Betreuung von Asylwerbern und Armutsmigranten, ihre Eingliederung in Arbeitswelten ist eine strategische Aufgabe für die Zukunft, die aber bislang mit überschaubarer Professionalität betrieben wird.
An dieser Aufgabe aber wird sich auch beweisen, ob Südtirol zukunftsfähig ist: Es geht dabei mitnichten um Gutmenschentum, erst recht nicht um beinharte Abwehr, sondern um eine Aufgabe, die gesetzlich administrativ und organisatorisch, erst recht in ihrem Bildungsauftrag die Aufnahmegesellschaft auf den Prüfstand stellt.
Wer sich dieser Aufgabe verweigert, schwächt sich selbst. Weit klüger ist es, die Herausforderung anzunehmen, sie zu gestalten und an ihr zu wachsen, menschlich und als Gemeinwesen. Das ist der Weg, den viele deutsche Regionen beschreiten, auf dem sie bei aller Anstrengung und Überforderung auch ihre Zukunftsfähigkeit beweisen. Denn planvolle Hilfe heißt auch, der Not im eigenen Land besser gewahr zu werden und jene Armut zu sehen, die wir ansonsten gerne übersehen. Die Bewältigung der eigenen sozialen Herausforderungen und jene für die Flüchtenden gehen Hand in Hand. Die nächsten Jahre sind dafür entscheidend und diese Mehrheit muss sich bei allen Vorzügen auch in diesem feld besser dafür rüsten als bisher der Fall.
Hans Heiss

  1. 12. 2018