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Im reichen Südtirol erfrieren müssen: Das darf nicht sein!

Der tragische Tod eines 19-Jährigen ägyptischer Herkunft in einer Behelfsunterkunft in Bozen Süd hat das Gewissen der gesamten Südtiroler Bevölkerung erschüttert. Freiwilligenverbände, die Diözese, die Caritas, Institutionen auf verschiedenen Ebenen und viele Menschen aus der Zivilgesellschaft haben einen dringenden Appell gestartet: Im reichen Südtirol sollte man nicht erfrieren müssen. Der Bürgermeister von Bozen, einer Stadt, die mehr als andere durch das tragische Schicksal vieler Obdachloser betroffen ist, hat Solidarität und Beteiligung gefordert. All diese Appelle können nicht unbeantwortet bleiben. Das Land hat sich um Notlösungen bemüht, aber es sind größere Anstrengungen und dauerhafte Maßnahmen erforderlich, denn der Winter kommt jedes Jahr und wir können nicht jedes Mal unvorbereitet von Problemen überrollt werden, die weitgehend vorhersehbar wären.

Die Bedürfnisse sind unterschiedlich, und erfordern angemessene Maßnahmen. Die Zahl der Menschen, die sich in der Caritas-Kantine eine warme Mahlzeit holen, ist in wenigen Wochen von 130 auf 400 gestiegen, berichtet Caritas-Direktorin Beatrix Mairhofer. Vielen von ihnen fehlt nicht nur eine Mahlzeit, sondern auch ein Bett. So präsentiert sich dieses Phänomen in seinem ganzen Ausmaß und in seinen unterschiedlichen Facetten. Seit Wochen nimmt der Migrantenzustrom stetig zu: Der Referent für Soziales der Gemeinde Bozen spricht von durchschnittlich 20 bis 30 Ankünften pro Tag. Einige reisen von Süden nach Norden und ver-suchen den Brennerpass zu passieren. Andere kommen aus dem Norden und sind nach Italien, dem Land ihrer ersten Identifizierung, zurückgewiesen worden; viele andere erreichen Italien über die Balkanroute. Einige dieser Personen befinden sich auf der Durchreise und bleiben für einen begrenzten Zeitraum in Südtirol. Andere stellen einen Antrag auf humanitären Schutz in Bozen und wollen sich bei uns integrieren.

Bei jenen, die in Behelfsunterkünften Zuflucht finden, handelt es sich daher um Menschen verschiedener Herkunft, die sich in unterschiedlichsten Situationen befinden: Obdachlose, darunter auch Einheimische, Personen, außerhalb des vorgesehenen Kontingents, deren Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde und worauf sie nun Rekurs eingelegt haben, aber auch Personen, die humanitären Schutz oder Asyl erhalten haben, jedoch die Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen mussten, und keine andere Unterkunftsmöglichkeit gefunden haben, oder Personen, die regelmäßig arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren, aber keine Unterkunft finden (oder diese nicht bezahlen können), oder Personen mit abgelaufener Aufenthaltsgenehmigung, die diese nicht verlängern können, weil sie keinen Wohnort angeben können.

Auch der Rechtsstatus dieser Personen ist unterschiedlich: Einige, die selbstständig nach Südtirol gekommen sind und einen Schutzantrag gestellt haben, wären eigentlich berechtigt, Zugang zu den außerordentlichen Aufnahmezentren (CAS) zu erhalten oder in das Aufnahme- und Integrationssystem (SAI, ehemals SPRAR) aufgenommen zu werden, wenn der Zugang nicht auf die vom Ministerium über das nationale System ausgewählten Personen beschränkt wäre. Die Einrichtungen des SAI-Netzes sind auf dem Landesgebiet von 6 auf 3 reduziert worden; diese sind für ein über das gesamte Gebiet verteiltes Aufnahme- und Integrationsnetz erforderlich.

Andere Menschen haben einfach das Recht auf Leben, das Recht, nicht erfrieren zu müssen, wenn sie unser Land durchqueren oder sich dort kurz aufhalten. Die Gewährleistung dieses elementaren Rechts ist ein humanitäres Grundprinzip, welches das Land Südtirol nicht verweigern kann.
Unter den siebzehn UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, die von der Landesregierung offiziell übernommen wurden, gibt es mindestens sechs Ziele, die sich auf diese Aspekte beziehen: das erste, „keine Armut“; das zweite, „kein Hunger“; das dritte, „Gesundheit und Wohlbefinden“; das sechste, „sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen“; das zehnte, „weniger Ungleichheiten“; das sechzehnte, „Frieden und Gerechtigkeit“.
Wenn es uns nicht gelingt, diese Ziele für ein paar hundert Menschen sicherzustellen, die auf beschwerlichen und lebensgefährlichen Wegen unser Land erreichen, wie sollen wir dann glaubhaft erklären können, dass wir auch bereit sind, diese Ziele in einem viel größeren Umfang zu verfolgen?

Südtirol verfügt sowohl auf institutioneller als auch auf ehrenamtlicher Ebene über Ressourcen und Mittel, um sich für all diese Rechte einzusetzen. Das haben wir mit der außergewöhnlichen Aufnahmebereitschaft gegenüber jenen Menschen bewiesen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen mussten. In nur wenigen Tagen konnte die Landesregierung im vergangenen März eine Task Force einrichten, den Zivilschutz mobilisieren und ein erstes Aufnahmezentrum vor der Bozner Messe in einem Gebäude der Südtiroler Transportstrukturen AG, STA einrichten, das mit Toiletten und Notbetten ausgestattet wurde.

Es ist tragisch und absurd, dass nur wenige Dutzend Meter von diesem Bauwerk entfernt der 19-jährige Ägypter vor einigen Tagen erfrieren musste!

Wir müssen uns also der Realität stellen: Wir haben es mit einem neuen kontinuierlichen Zustrom von Migranten und Flüchtlingen zu tun, für den der Staat und das Land zuständig sind. Wir brauchen daher eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Staat, Land, Gemeinden, dem Dritten Sektor und dem Ehrenamt; wir brauchen gegenseitige Unterstützung und eine Koordinierung der Maßnahmen. Um einen Ausweg aus der Notstandslogik zu finden, ist ein nachhaltiger Plan erforderlich.

Allerdings ist in bestimmten unvorhergesehenen Situationen auch eine gezielte und rasche Hilfestellung wichtig. In Österreich betreibt die Caritas bei¬spielsweise das so genannte „Kältetelefon“, das sowohl Menschen, die ohne ein Dach über dem Kopf der eisigen Kälte ausgesetzt sind, als auch normale Bürger und Bürgerinnen anrufen können, um Hilfe anzufordern. Auf diese Weise wird eine der Situation angemessene Hilfe aktiviert: ein geeigneter Schlafsack, die Unterbringung in einer Notunterkunft oder auch nur ein offenes Ohr für die betroffene Person. Die Verfügbarkeit solcher Kommu¬nikationskanäle macht den Unterschied und rettet Leben!

verpflichtet der Südtiroler Landtag die Landesregierung,

  1. 1. eine Arbeitsgruppe einzurichten, an der Land, Regierungskommissariat, Gemeinden, Organisationen des dritten Sektors und Experten im Bereich der Obdachlosenaufnahme auf europäischer Ebene teilnehmen, um einen nachhaltigen Landesplan für die Aufnahme von Obdachlosen und Personen, die internationalen Schutz beantragen und sich in Südtirol aufhalten, auszuarbeiten und zu teilen,
  2. 1. auch in Zukunft durch die Zusammenarbeit zwischen Staat, Land und Gemeinden ein den effektiven Bedürfnissen entsprechendes Aufnahmesystem mit den über das gesamte Gebiet verteilten außerordentlichen Aufnahmezentren (CAS) zu gewährleisten,
  3. 2. eine Form der „niedrigschwelligen“ Aufnahme vorzusehen, um denjenigen, die sich auf der Durchreise in Südtirol befinden und nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen, angesichts der niedrigen Temperaturen unverzüglich eine warme Mahlzeit und ein Bett anzubieten,
  4. 3. einen Kommunikationskanal nach dem Vorbild des österreichischen „Kältetelefons“ zu schaffen, an den sich Menschen in Not, aber auch einfache Bürgerinnen und Bürger rasch wenden können, um gezielt jenen zu helfen, die in der eisigen Kälte ohne ein Dach über dem Kopf das Leben riskieren; zu diesem Zweck kann auch eine Organisation des dritten Sektors mit ent¬sprechenden Kompetenzen und Erfahrungen beauftragt werden.

gez. Landtagsabgeordnete
Riccardo Dello Sbarba
Brigitte Foppa
Hanspeter Staffler

Author: Serena

Kommunikationsbeauftragte der Grüne Fraktion.

Minderheitenbericht
Eine verzagte Gesell
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