HomeLandtagsarbeitBeschlussanträgeFinanzielle Bildung – für selbstbestimmtes Wirtschaften in einer (geschlechter)gerechte(re)n Gesellschaft

Finanzielle Bildung – für selbstbestimmtes Wirtschaften in einer (geschlechter)gerechte(re)n Gesellschaft

Beschlussantrag.

„Financial Literacy“ lässt sich auf Deutsch mit „finanzieller Bildung“ übersetzen. Der Begriff beschreibt, wie gut sich Menschen auf ihrem ganz persönlichen finanziellen Parkett bewegen. Was sie über Sparformen und Geldanlagen wissen, wie gut sie ihre Finanzen im Griff haben, wie gut sie den Überblick behalten können und ob sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen auskommen können. Letztendlich geht es darum, ob und wie Bürger:innen selbstbestimmte und überlegte finanziellen Entscheidungen treffen können.

Diese so genannte finanzielle Bildung ist von fundamentaler Bedeutung, nicht nur für jede und jeden Einzelnen, sondern auch für Wirtschaftsräume als Ganzes. Wo Bürger:innen in ökonomischen Belangen gut informiert sind, steigen laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Qualität der finanziellen Dienstleistungen und Wirtschaftswachstum. In Zeiten von finanzieller Instabilität und Vulnerabilität ist es, gerade was Renten angeht, von großer Wichtigkeit, dass Bürger:innen mündige Entscheidungen treffen können, um sich nicht vollständig auf öffentliche Absicherung oder auf das mehr oder weniger verlockende Angebot des Marktes verlassen zu müssen.

Italien hat laut dem Global Financial Literacy Excellence Center (GFLEC) eine eher unterdurchschnittliche Rate an finanziell gut ausgebildeten Erwachsenen. Etwa 37 Prozent der Erwachsenen hierzulande können überlegte und mündige finanzielle Entscheidungen treffen. Demgegenüber stehen Länder wie Norwegen, Dänemark und Schweden mit einer Rate von 71 % finanziell gebildeten Bürger:innen.

Doch der Schnitt zwischen gut und schlecht finanziell gebildeten Menschen lässt sich nicht so einfach ziehen. Laut OECD spielen mehrere Faktoren hier mit und beeinflussen sich untereinander: So gibt es unter der sehr jungen und unter der älteren Bevölkerung einen großen Prozentsatz von Menschen, die finanziell nicht gut gebildet sind. Ebenso spielen Migrationshintergrund, Bildung, Einkommen und der Wohnort (urban vs. ländlich) eine z.T. nicht unbedeutende Rolle bei der Frage, wie gut sich jemand in finanziellen Dingen auskennt.

Frauen und „financial literacy“

Zusätzlich dazu gibt es noch einen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern: So wissen Frauen verhältnismäßig schlechter über ihre finanziellen Möglichkeiten und ihre Lage Bescheid als Männer. Immer laut OECD ist der erste Grund ein demografischer: Frauen leben länger als Männer. Hinzu kommt, dass sie in dieser längeren Lebenszeit weniger verdienen. Auch dies hat diverse Gründe: Frauen arbeiten öfter in Teilzeit und sehen sich am Ende des Arbeitszyklus mit Jahren konfrontiert, in denen sie gar nicht erwerbstätig waren. Zusätzlich dazu arbeiten sie öfters in schlechter bezahlten Berufen und haben am Ende ihres Erwerbslebens eine signifikant niedrigere Rente als Männer. Fazit: Frauen haben weniger Geld und beschäftigen sich weniger damit – eine fatale Kombination.

Ein sehr wichtiger Punkt ist jedoch auch folgender: Mädchen werden immer noch anders, weniger oder gar nicht an das Thema Geld herangeführt als Jungen. Dies hat oft zur Folge, dass sie in diesem Bereich ein geringeres Selbstbewusstsein haben. Die Florence School of Banking and Finance bringt es mit dem folgenden Satz auf den Punkt: „Women know more about finance than they think they do“ (Frauen wissen mehr über Finanzen als sie denken). Dieses geringere Selbstbewusstsein führt dazu, dass Mädchen und junge Frauen sich weniger gerne mit dem Thema beschäftigen als ihre gleichaltrigen männlichen Kollegen. Auch die Ergebnisse der PISA-Studie zur Financial Literacy in Südtirol aus dem Jahr 2018 legen dies nahe. Die Jungen schnitten darin besser ab als die Mädchen. Insgesamt ordneten sich Südtirols Schüler:innen bei der finanziellen Bildung im Mittelfeld ein – „signifikant unter dem OECD-Mittelwert“ (siehe WIFO-Studie: „Die finanzielle Grundbildung der 15-jährigen in Südtirol“).

Paradoxerweise sind es auf der anderen Seite im Familienalltag sehr oft die Frauen, welche die Finanzen der Familie zu einem Großteil verwalten: Sie kaufen ein, wissen, was die Kinder brauchen, welche Investitionen nötig sind usw. Und doch sourcen ca. 58 % der Frauen weltweit langzeitliche finanzielle Entscheidungen komplett an ihren Partner aus, mit den entsprechenden Folgen. Dies ergab eine Studie des UBS Global Wealth Management aus dem Jahr 2019. Dazu gesellen sich weitere Kollateralschäden, die allesamt mit einem geringen finanziellen Selbstbewusstsein zu tun haben. So legen etliche Studien nahe, dass Frauen ihre Entlohnung im Vergleich mit Männern anders, um nicht zu sagen schlechter, verhandeln. Hinzu kommt eine weitere erschreckende Tatsache: Laut „il Sole 24 ore“ besitzen ca. 30 % der Italienerinnen kein eigenes Bankkonto; was dazu führen kann, dass es bei einer eventuellen Trennung, dem Tod des Partners oder weiteren unvorhergesehenen und außerplanmäßigen Umständen zwangsläufig zu Problemen kommt. Frauen müssen sich plötzlich in einer finanziellen Welt bewegen, die sie bisher vermieden haben und in der sie womöglich keine guten Entscheidungen für sich und ihre Familien treffen können.

Doch auch Gesellschaft und Wirtschaft können sich nicht gut weiterentwickeln und der Wohlstand kann sich nur schwer gerecht verteilen, wenn entscheidende Teile der Bevölkerung sich nur ungern oder überhaupt nicht mit dem Thema Geld befassen und in ihren Entscheidungen auf andere angewiesen sind.

Kurzum: Finanzielle Bildung ist enorm wichtig, nicht nur für die Einzelperson, sondern für das gesellschaftliche und wirtschaftliche System, in dem sie lebt.

In diesem Sinne braucht es sowohl flächendeckende finanzielle Bildung von Kindheit an als auch das gezielte Ansprechen von Gruppen, die vom Thema ausgeschlossen sind, oder sich auch selbst ausschließen. Andere Länder machen vor, wo es wie einzuhaken gilt. Einer der Gründe, wieso Länder wie Schweden heute diesbezüglich verhältnismäßig gut dastehen, ist der Wert, dem sie finanzieller Bildung von Kindheit an beimessen.

Die OECD empfiehlt auch, Programme zur finanziellen (Weiter)Bildung explizit für Frauen anzubieten. Dabei sollen gewisse „Untergruppen“ – sehr junge und alte Frauen, Frauen mit niedrigem Einkommen sowie Kleinunternehmerinnen – besonders im Fokus stehen.

Folgen wir also denen, die mit gutem Beispiel vorangehen, hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft, hin zu einer gesunden Wirtschaft, die von der finanziellen Grundausbildung ihrer Bürger:innen profitiert!

Daher beauftragt der Südtiroler Landtag die Landesregierung

  1. Das Curriculum der Fakultät „Bildungswissenschaften für den Primarbereich“ im Fach „Didaktik der Mathematik und Naturwissenschaften“ um den Bereich „Financial Literacy“ zu ergänzen.
  2. In den Rahmenrichtlinien für die Grund- und Mittelschulen den Bereich „Finanzielle Bildung“ einzuführen bzw. auszudehnen.
  3. Den Bereich „Finanzielle Bildung“ in den Fortbildungsprogrammen für Lehrpersonen auszubauen.
  4. Mit den Weiterbildungsorganisationen und Bildungsausschüssen in Austausch zu treten, um in den Kursprogrammen und den Weiterbildungsveranstaltungen vor Ort den Bereich „Finanzielle Bildung“ und die Themen Kredite, Schulden, Sparen, Altersvorsorge, Investitionsformen, Versicherung und finanzielle Absicherung, auch speziell für Frauen, zu stärken.

 Bozen, 17.02.2023

Landtagsabgeordnete
Brigitte Foppa
Riccardo Dello Sbarba
Hanspeter Staffler

Der beschliessende Teil wurde abgeändert und wie folgt genehmigt. Die Landesregierung wird somit beauftragt:

  • Punkt 2: „Anlehnend an den Beschluss der L-Reg. 244/2020 den Bereich Finanzielle Bildung im Mathematikunterricht der Grund-, Mittel- und Oberschule verstärkt in den Fokus zu stellen.“
  • Punkt 4: Mit den Weiterbildungsorganisationen und Bildungsausschüssen in Austausch zu treten, um in den Kursprogrammen und den Weiterbildungsveranstaltungen vor Ort den Bereich „Finanzielle Bildung“ und die Themen Kredite, Schulden, Sparen, Altersvorsorge, Investitionsformen, Versicherung und finanzielle Absicherung zu stärken.

Author: Heidi

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