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Anschluss an Südtirol?

PRESSEMITTEILUNG

Im Hinblick auf Erwin Valentinis Stellungnahme in der ff 34/2023 bedanke ich mich für das Ansprechen wichtiger ladinischer Themen. Als ladinische Kandidatin zu den anstehenden Landtagswahlen nehme ich die Gelegenheit wahr, meine Meinung zu äußern.
Zunächst: eine nach Sprachgruppen aufgeteilte Wahlpropaganda in einem vereinten und interkulturellen Europa empfinde ich als nicht mehr zeitgemäß, sogar als anachronistisch. Denn die großen politischen Themen unserer Zeit sind letztlich nicht mehr nur auf eine Sprachgruppe beschränkt. Dennoch nehme ich zu den vier von Valentini angesprochenen Punkten gerne Stellung:

Anschluss an Südtirol
2007 wurde das Referendum zum Anschluss von Cortina, Livinallongo del Col di Lana und Colle Santa Lucia an die Autonome Region Trentino-Südtirol abgehalten. Das Resultat war eindeutig: 71,44% der befragten Bevölkerung wünschte sich eine Wiedervereinigung Ladiniens, dies gilt wohl bis heute. Ein solches Szenario gefällt aber vor allem der Südtiroler Volkspartei ganz und gar nicht. Ihre Begründung: Eine Wiedervereinigung Ladiniens würde das Proporzsystem in Südtirol drunter und drüber werfen, eine größere ladinische Bevölkerung in der Region auch eine stärkere ladinische Stimme bedeuten. Bis heute werden die Ladiner, die älteste Sprachgruppe Südtirols, trotz mancher Fortschritte und Förderung politisch grundsätzlich als Anhängsel der SVP, also der deutschen Sprachgruppe, gesehen. Als LadinerIn wird man/frau (so wie früher öfters Ehefrauen) ständig mit der deutschen Sprachgruppe mitgemeint und mitgedacht, wenn es um Minderheitenfragen geht. Wie oft wird zum Beispiel von „den zwei Landessprachen“ gesprochen und auf die dritte vergessen. Auch würde ein Anschluss von Cortina an Südtirol, eine vorwiegend italienische Gemeinde, den Anteil der italienischen Sprachgruppe in Südtirol erhöhen. Ein weiteres Szenario, das die SVP und die „deutschen“ Parteien in Südtirol scheuen, wenn nicht sogar verabscheuen. Seit eh und je werden Sprachen in Südtirol von SVP-Seite nicht als Bindeglied einer mehrsprachigen Gemeinschaft und also als Reichtum gesehen, sondern als Möglichkeit zur ethnischen Spaltung im Sinne eigener Interessen gegenüber der anderen Sprachgruppen.
Um die Angelegenheit des Referendums zur Vereinigung der Dolomiten Ladiner in Rom voranzutragen, braucht es vor allem die Unterstützung der regierenden Partei in Südtirol. Gefordert sind Kompromissbereitschaft, Weitblick, Solidarität und Vision – vor allem eine Vision, die sich endlich am Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen in Südtirol orientiert und nicht ständig in die Vergangenheit blicken sollte, um die sprachliche und kulturelle Spaltung am Leben zu halten.

Ladinische Flagge
Die Anerkennung der Ladinischen Flagge wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität für die ladinische Bevölkerung. Daran muss und soll gearbeitet werden, denn gemeinsame Symbole stärken Verbindung und Zusammenhalt, wenn sie nicht für nationalistische oder ethnisch verengte Haltungen instrumentalisiert werden.

Lia di Comuns
Die Lia di Comuns wurde 2007 dank des Minderheitengesetzes 482/99 ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die interladinische Zusammenarbeit trotz der administrativen Spaltung in drei Provinzen und zwei Regionen, zu stärken. Es trifft nicht zu, dass die SVP seitdem die Lia di Comuns eingebremst hat, so wie von Erwin Valentini geschildert. 2021 hat Regionalassessor Manfred Vallazza alle ladinischen Bürgermeister einberufen, um das Thema der Lia di Comuns wieder aufzunehmen. Seitdem bemühen sich die ladinischen Bürgermeister um eine aktive Lia di Comuns. Am 9. August 2022 wurde Giorgio Costabiei als neuer Präsident der Lia gewählt. Die Lia di Comuns ist als einzige überprovinzielle Organisation auch von der Region Trentino Südtirol 2018 offiziell anerkannt und daher ein wichtiges Instrument für die ladinische Politik, um die gemeinsamen Interessen weiterzubringen. Die größte Herausforderung liegt jedoch darin, dass der Lia di Comuns von Seiten der Provinzen und der Regionen keine klaren Kompetenzen zuerkannt werden. Dies sollte aber erste Priorität sein, denn nur so lassen sich konkrete Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Dolomitenladiner auf den Weg bringen.
In diesem Zusammenhang gilt noch ein Wort der Union Generela di Ladins, die Dachorganisation der Dolomitenladiner, die 1905 in Innsbruck gegründet wurde. Die Union Generela di Ladins muss endlich von der südtiroler Politik offiziell als Vertretung der ladinischen Bevölkerung, anerkannt werden.

Ladin Standard oder Ladin Dolomitan (Ladinische Einheitssprache)?
Die aktuelle Handhabe der ladinischen Sprache in Südtirol ist komplex und kompliziert. Immer wieder stellt sich die Frage: Soll Gadertalerisch oder Grödnerisch verwendet werden? Wie soll man der einen oder der anderen Sprachvariante gerecht werden? Eine offiziell anerkannte Schriftsprache würde den administrativen und offiziellen Gebrauch des Ladinischen vereinfachen und diesen dementsprechend gewiss auch fördern und stärken. Eine offiziell anerkannte Schriftsprache heißt auch, eine einheitliche Stimme zu haben. In diese Richtung muss gearbeitet werden. Dabei wäre es von fundamentaler Bedeutung, die einzelnen ladinischen Idiome durch die Einführung einer solchen ladinischen Einheitssprache, nicht zu schwächen sondern sie weiter – vor allem im mündlichen Gebrauch – zu fördern. Dies ist nur möglich, indem man auch die ladinischen Institutionen stärkt und unterstützt, ein Punkt, der mir in Valentinis Stellungnahme fehlt. Das ladinische Institut Micurá de Rü, das Kompetenzzentrum der ladinischen Sprache und Kultur, sollte als Ansprechpartner aktiv in die Debatte zur Definition einer offiziell anerkannten Schriftsprache und für den Weg dorthin miteinbezogen werden.

Mein Plädoyer an die Südtiroler Politik: Die ladinische Sprache braucht mehr Anerkennung! Alle offiziellen Mitteilungen und Informationen des Landes sollten auch auf Ladinisch zugänglich sein. Wie viele Webseiten der Landesämter sind nicht ins Ladinische übersetzt? Wie oft (oder wie selten) wird bei offiziellen Anlässen, nicht nur bei der Begrüßung, auch das Ladinische gebraucht? Die ladinische Sprache ist nicht nur als Sprache einer kleinen Enklave in den Dolomiten zu betrachten und zu behandeln, sondern sollte als dritte Sprache des Landes gebraucht und gefördert werden. Wie oft höre ich: „Gerne würde ich ein wenig Ladinisch können, habe aber nie die Möglichkeit gehabt, es zu lernen!“? Zugängliche Sprachkurse und Übersetzungsdienste für all jene, die dies wünschen, wären ein Schritt nach vorn. Die Verbannung des Ladinischen in die ladinischen Täler ist der Spiegel einer politischen Haltung, die eine sprachliche Trennung und Entfernung befürwortet. Eine solche Logik des „Deine Schwäche ist meine Stärke“ ist eine archaische Sichtweise der Dinge.

Ausverkauf der Heimat
Ich stimme Valentini zu, ein Ausverkauf der Heimat schwächt die ladinische Sprachgruppe in ihrer Einheit. Jedoch: Wo gekauft wird, verkauft auch jemand. Die ständige Kommerzialisierung unseres Lebensraumes trägt dazu bei, den Ausverkauf der Heimat zu fördern. Politische Maßnahmen, um dieses Phänomen einzudämmen, wurden versucht, unter anderem der konventionierte Wohnbau oder letztlich die Super GIS, bislang blieben sie aber im Großen und Ganzen ziemlich erfolglos. Die Immobilienspekulation in den Dolomiten (und in Südtirol) ist die Kehrseite der Medaille einer hervorragenden Vermarktung des Territoriums als „begehrtestes Lebensraums Europas“. Je attraktiver das Territorium, desto höher das Interesse darin zu investieren. Wir haben die Geister gerufen, die Politik allein wird dieses Problem nicht lösen können. Die Bevölkerung und vor allem die Tourismusbranche muss sich der Verantwortung bewusstwerden und schrittweise umsteuern. Wir brauchen eine Marketingbremse, wir müssen das ladinische Kulturleben weg von der touristischen Inszenierung fördern, wir brauchen eine Diversifizierung der Wirtschaft weg von der touristischen Monokultur, die unser Lebensraum zum Spielraum der Wohlhabenden deklassiert.

Zum Abschluss noch: Die ersten vier Punkte haben eines gemeinsam. Wenn sie erfolgreich umgesetzt werden, würden sie die ladinische Sprachgruppe stärken, eine Aussicht, die der regierenden Partei nie gefallen hat. Die Vielfalt Südtirols wird zwar in Marketingstrategien zur Tourismuswerbung gerühmt, im realen Alltag aber hat unsere Südtrioler Volkspartei große Angst davor. Erst wenn die archaische Angst vor der Vielfalt endlich überwunden sein wird, erst dann, wenn wir alle verstanden haben werden, dass die Kraft genau in der sprachlichen und kulturellen Vielfalt liegt, wird Südtirol mit seinen Nachbarn ein wirklich erfolgreiches, zukunftsfähiges und starkes Land sein.

Elide Mussner

Author: Prakti

Ein Südtirol nach M
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