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Referendum zum Justizsystem 12.06.2022

Am 12. Juni findet ein staatsweites abschaffendes Referendum zum Justizsystem statt. Die fünf Fragestellungen über die abgestimmt wird, wurden von Lega und Radicali eingereicht.

Damit die Abstimmung gültig ist, muss ein Quorum von 50% erreicht werden. Wenn das Quorum nicht erreicht wird oder das NEIN siegt, bleibt alles beim alten, die bestehenden Gesetze werden nicht abgeschafft. Wenn hingegen das JA siegt werden die jeweiligen Gesetze abgeschafft.

Ein abschaffendes Referendum ist sicherlich nicht der richtige Weg, um die längst überfälligen Reformen im italienischen Justizsystem anzugehen, dennoch sollte jede:r Bürger:in vom Wahlrecht Gebrauch machen.

 

Zu den einzelnen Fragestellungen:

REFERENDUMSFRAGE 1 – ROTER STIMMZETTEL

Gefragt wird, ob Abstimmende jenen Teil des Severino-Gesetzes aufheben wollen, der den automatischen Amtsverlust von rechtskräftig verurteilten Parlamentarier:innen, Regierungsmitgliedern, Regionalrät:innen, Bürgermeister:innen und Gemeinderät:innen im Falle einer Verurteilung wegen schwerer Straftaten vorsieht. Darüber hinaus sieht das Severino-Gesetz die Unwählbarkeit und den Ausschluss von den Wahllisten jener von Personen vor, die wegen schwerer Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung rechtskräftig verurteilt worden sind. Diejenigen, die mit JA antworten, wollen die Vorschrift aufheben, diejenigen, die mit NEIN antworten, wollen, dass sie in Kraft bleibt.

Die Befürworter des JA argumentieren, das Gesetz bestrafe Kommunalbeamte, die ohne rechtskräftige Verurteilung suspendiert werden, und setze sie einer öffentlichen Vorverurteilung aus, selbst wenn sich später herausstellt, dass sie unschuldig sind.

Die Befürworter des NEIN der Abschaffung dieses Gesetzes betonen, dass Parlamentarier:innen, Bürgermeister:innen und Lokalverwalter:innen, die wegen Mafia, Korruption, Bestechung oder Veruntreuung verurteilt wurden, wieder für öffentliche Ämter kandidieren und diese bekleiden können, wenn dieses Gesetz abgeschafft wird.

REFERENDUMSFRAGE 2 – ORANGEFARBENER STIMMZETTEL

Fragt die Wähler:innen, ob sie den Tatbestand der „Wiederholung der Straftat“ aus der Reihe der Gründe streichen wollen, aus denen Richter die Untersuchungshaft oder den Hausarrest über eine Person während der Ermittlungen (vor der Gerichtsverhandlung) verhängen können. Untersuchungshaft könnte somit nur mehr aus Gründen der Fluchtgefahr, bei Verdunkelungsgefahr und beim Bestehen eines Risikos der Begehung besonders schwerer Straftaten mit Waffen oder anderen Gewaltmitteln verhängt werden. Diejenigen, die mit „JA“ stimmen, wollen diesen Grund aus den Gründen für die Untersuchungshaft streichen, diejenigen, die mit „NEIN“ stimmen, wollen ihn beibehalten.

Die Befürworter des „JA“ argumentieren, dass die Untersuchungshaft heute missbraucht wird und häufig Personen inhaftiert werden, die nicht verurteilt wurden, was einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung darstellt. Tatsächlich ist die Wiederholung der Straftat der häufigste Grund für die Anordnung von Untersuchungshaft. In den letzten 30 Jahren wurden etwa 30.000 Menschen inhaftiert und dann für unschuldig befunden, und auch heute noch befindet sich ein Drittel aller Gefangenen im Gefängnis, weil sie in Untersuchungshaft sitzen.

Die Befürworter eines „NEIN“ argumentieren, dass es nach einer Gesetzesänderung sehr schwierig sein wird, Personen, die schwerer Straftaten wie Korruption, Stalking, Erpressung, Raub und Diebstahl verdächtigt werden, in Untersuchungshaft zu nehmen. Außerdem gäbe es keine Garantie dafür, dass keine Unschuldigen ins Gefängnis kommen, da die anderen Gründe weiterhin gelten.

REFERENDUMSFRAGE 3 – GELBER STIMMZETTEL

Die Wähler:innen werden gefragt, ob er es den Richtern:innen untersagt werden soll, von der Rolle des/der Richter:in (der/die über einen Fall urteilt) in die Rolle der/des Staatsanwalt:in (die/der die Anklage erhebt und die Ermittlungen koordiniert) zu wechseln, und umgekehrt. Im Grunde genommen haben Richter:innen und Staatsanwält:innen heute dieselbe Laufbahn. Es stellt sich die Frage, ob Entscheidung, ob man Richter:in oder Staatsanwält:in werden will, bereits zu Beginn der Berufslaufbahn getroffen werden sollte. Diejenigen, die mit JA stimmen, befürworten die Trennung der Laufbahnen, diejenigen, die mit NEIN stimmen, haben hingegen kein Problem damit, Staatsanwälten:innen und Richtern:innen dieselbe Laufbahn zu ermöglichen.

Die Befürworter des „JA“ argumentieren, dass die Trennung der Laufbahnen eine größere Unparteilichkeit der Richter:innen gewährleisten würde, da sie dann in Bezug auf ihre Einstellung und ihren Ansatz von der strafenden Funktion der Justiz, die den Staatsanwälten obliegt, losgelöst wären. Mit anderen Worten: Es wäre für ein demokratisches System nicht ideal, wenn eine Person einige Jahre lang daran gewöhnt sei „anzuklagen“, dann in die Lage versetzt wird, „zu urteilen“.

Die Befürworter eines „Nein“ argumentieren, dass die Trennung der Laufbahnen in jedem Fall nicht wirksam sei, da die Ausbildung, der Wettbewerb um den Zugang zur Justiz und die Selbstverwaltungsorgane der Richter:innen und Staatsanwält:innen gemeinsam blieben. Außerdem befürchten einige, dass die Staatsanwält:innen auf diese Weise einer stärkeren Kontrolle durch die Regierung unterworfen werden könnten.

REFERENDUMSFRAGE 4 – GRAUER STIMMZETTEL

Hier geht es um die Frage der sogenannten „Zeugnisse“ für Richter:innen und Staatsanwält:innen. Die Wähler:innen werden gefragt, ob sie möchten, dass die Arbeit der Richter:innen von den Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs und den Laienmitgliedern der Justizräte (z. B. Anwält:innen und Universitätsprofessor:innen) bewertet wird. Dies ist derzeit nicht der Fall, da das Gesetz von 2006 dies verhindert. Diejenigen, die mit JA stimmen, wollen das Gesetz aufheben und die Bewertung von Richter:innen und Staatsanwält:innen zulassen, diejenigen, die mit NEIN stimmen, wollen Richter:innen und Staatsanwält:innen auch weiterhin von der Bewertung durch Laien, z. B. Rechtsanwälte, ausschließen.

Die Befürworter des „JA“ argumentieren, dass die Richterschaft durch diese Reform weniger selbstbezogen und die Bewertung der Richter:innen objektiver würde.

Die Befürworter des „NEIN“ sind der Überzeugung, dass es nicht angebracht ist, den Anwälten die Aufgabe der Bewertung von Richter:innen zu übertragen, da vor allem die Staatsanwält:innen in den Verfahren die Gegenspieler der Anwält:innen sind. Aus diesem Grund könnten die Bewertungen nachteilig und feindselig sein. Ebenso könnten Richter:innen und Staatsanwält:innen dadurch beeinflusst werden, dass sie mit Anwält:innen konfrontiert werden, die an ihrer beruflichen Beurteilung beteiligt sind.

REFERENDUMSFRAGE 5 – GRÜNER STIMMZETTEL

Dies ist die Frage nach der Reform des CSM – Obersten Rates der Gerichtsbarkeit und der Wahl von dessen Mitgliedern aus den Berufsrichtern (ital. giudici togati). Die Wähler:innen werden gefragt, ob sie die Vorschrift aufheben möchte, nach der Richter:innen und Staatsanwält:innen zwischen 25 und 50 Unterstützungsunterschriften sammeln müssen, um für die Wahl zum  Obersten Rat der Gerichtsbarkeit kandidieren zur können. Diejenigen, die mit „JA“ stimmen, wollen die Pflicht zur Unterschriftensammlung abschaffen, jene, die mit „NEIN“ stimmen, wollen sie beibehalten.

Die Befürworter des „JA“ argumentieren, dass dies den Richter:innen die Möglichkeit geben würde, sich von der Verpflichtung, politische Vereinbarungen zu treffen und vom System der Strömungen („correnti“) zu befreien, um Leistung und nicht politische Zugehörigkeit zu belohnen. Sie würde auch die Aufteilungen von Ernennungen einschränken, d.h. die Aufteilung von Stellen zwischen verschiedenen politischen Richtungen.

Die Befürworter des „Nein“ argumentieren, dass die Reform die Macht der Strömungen nicht beseitigen würde, da sie nur in geringem Maße eingreift. Es gibt aber auch diejenigen, die Strömungen nicht als ein schlechtes System an sich betrachten, da es sich um Zusammenschlüsse von Menschen handelt, die gemeinsame Ideale und Grundsätze haben.