HomeLandtagsarbeitBeschlussanträge„Progetto esistenziale di Vita” – Selbstbestimmtes Leben unterstützen

„Progetto esistenziale di Vita” – Selbstbestimmtes Leben unterstützen

BESCHLUSSANTRAG.

Schon seit einigen Jahren gibt es in Italien eine öffentliche Debatte darüber, wie man vulnerable Personengruppen schützen bzw. empowern kann. Am Beginn der Debatte steht die Frage, wie wir vulnerable Personen (persone fragili) überhaupt definieren wollen. Dazu zählen Personen mit körperlicher oder kognitiver Beeinträchtigung, aber auch darüber hinaus können sich alle möglichen Menschen – auch nur für einen begrenzten Zeitraum – in einer vulnerablen bzw. fragilen Situation befinden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Diese politische Debatte mündete in die Verabschiedung des Staatsgesetzes Nr. 112/2016 – weitläufig bekannt als „Legge dopo di noi“. Dieses Gesetz behandelt im weitesten Sinne die Frage, was mit Menschen, die nicht alleine für sich sorgen können, geschieht, sobald ihre Vormunde – meistens die Eltern – nicht mehr da sind. Die Legge dopo di noi  ist sehr zu begrüßen, sie umfasst jedoch nicht alle Lebensbereiche von Menschen mit Beeinträchtigung, sondern fokussiert sich auf die finanzielle Regelungen wie das Erbe, oder andere wirtschaftliche Aspekte. Die weichen Faktoren („soft facts“, „aspetti liquidi“) spart das Gesetz aus. Das bedeutet aber nicht, dass das Gesetz keinen Raum für sie vorsieht.

So steht in der letzten Zeile des Artikels 408, Absatz 1 des Codice Civile geschrieben, dass Richter:innen jene Person zur Sachwalter:in ernennen kann, die vom „überlebenden Elternteil in einem Testament, einer öffentlichen Urkunde oder einem beglaubigten privatrechtlichen Vertrag benannt wurde“ (im Original: „designato dal genitore superstite con testamento, atto pubblico o scrittura privata autenticata“). Diese Formulierung öffnet neue Türen. Laut dieser Definition könnten auch die Wünsche, Erwartungen und Einstellungen der vulnerablen Person berücksichtigt werden.

Diese Lücke hat die Gemeinde Reggio Emilia als erste erkannt und das „Progetto Esistenziale di Vita” ins Leben gerufen. Ziel des Projektes ist es, die Lebenswünsche von zu betreuenden Menschen – Menschen mit Beeinträchtigung, aber nicht nur – zu erfassen und zu hinterlegen. Im Mittelpunkt soll hierbei die Person stehen, um die es geht. Sie schreibt, gemeinsam mit ihrem engsten Umfeld, nieder, wie sie leben möchte und welche Aspekte dafür in ihrem Alltag wichtig sind.

So wurde im Meldeamt von Reggio E. das öffentliche Register „progetti di vita delle persone fragili“ (Übersetzung in etwa „Lebensentwürfe von Menschen mit besonderen Bedürfnissen“) geschaffen. Dieses Register umfasst Dokumente und Akte, welche die Bedürfnisse, Lebensvorstellungen, Wünsche, Ziele etc. von Personen mit Beeinträchtigung darlegen. Ziel des Projektes ist es somit, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein offizielles Dokument hinterlegen können, das ihre Wünsche bzw. ihr Lebensprojekt umfasst.

Der Prozess folgt einem gewissen Iter, Ausgangspunkt ist das Ausfüllen eines Fragebogens. Darauf folgen Gespräche mit der betreffenden Person sowie ihrem engsten Umfeld. In den Prozess eingebunden sind verschiedene öffentliche Vertreter:innen wie Beamt:innen, Psycholog:innen, Rechtsexpert:innen usw.

Wie groß der Bedarf der Institutionalisierung eines derartigen „Lebensentwurf“ ist, zeigte der Andrang in der Gemeinde Reggio Emilia: In 20 Tagen wurden hier 780 Fragebögen ausgefüllt und eingereicht. Das Interesse war also enorm.

Diesem Beispiel kann Südtirol folgen, indem es das „Progetto esistenziale di Vita“ auch hier institutionalisiert und mit geeigneten Maßnahmen die Grundlage dafür schafft, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen selbstbestimmt ihren Lebensentwurf auch dann leben können, wenn die Eltern nicht mehr da sind.

Daher beauftragt der Südtiroler Landtag die Landesregierung

  1. Das Thema des „Progetto esistenziale di Vita” im Rahmen einer Fachtagung oder Anhörung mit den zuständigen Institutionen, den Fachleuten, den Betroffenen und ihren Angehörigen zu vertiefen.
  2. Insbesondere die Gemeinden Südtirols in das Thema einzubinden und mit einzelnen Gemeinden, die sich als Pilotgemeinden zur Verfügung stellen, ein öffentliches Register mit „Lebensentwürfen von Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ einzurichten. Darin werden Dokumente mit den Bedürfnissen, Wünschen und generellen Lebensvorstellungen von Personen hinterlegt, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben und eine Beeinträchtigung aufweisen.
  3. Ein Musterreglement für die Erstellung dieser „Lebensentwürfe von Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ auszuarbeiten, nach dessen Vorgabe die „Lebensentwürfe“ in den Gemeinden hinterlegt werden können.
  4. Das Projekt durch die fachliche Unterstützung der Sachwalterschaft zu begleiten.

Bozen, 09.03.2022

Landtagsabgeordnete

Brigitte Foppa

Hanspeter Staffler

Riccardo Dello Sbarba

Aus EEVE mach ISEE
Erzählen wir die Ge
KEINE KOMMENTARE

KOMMENTAR SCHREIBEN