HomeLandtagsarbeitBeschlussanträgePrävention gegen Gewalt in der Gesellschaft: Fangen wir bei den Jüngsten an

Prävention gegen Gewalt in der Gesellschaft: Fangen wir bei den Jüngsten an

BESCHLUSSANTRAG.

Am 25. November gedenkt die Welt einem traurigen Phänomen, über das wir unglaublicherweise im Jahr 2020 noch sprechen müssen. Es passiert tagtäglich. Die Rede ist von Gewalt an Frauen. Ungefähr 30% der Frauen in Italien zwischen 16 und 70 Jahren haben in ihrem Leben mindestens einmal eine Form von körperlicher oder sexueller Gewalt erlebt, meistens vom Partner oder Ex-Partner. Hinzu kommen Formen der psychischen oder wirtschaftlichen Gewalt, der ca. 23% der italienischen Frauen – meistens vom Partner oder Ex-Partner – ausgesetzt sind oder mindestens einmal ausgesetzt waren. 20% der Frauen hierzulande sind in ihrem Leben auch bereits Opfer von Stalking geworden. Bedrückend sind solcherlei Prozentzahlen bereits alleine für sich genommen. Doch die Beklemmung steigt weiter, sobald wir uns die Zahl der Femizide in Italien vor Augen führen. Ein Femizid bezeichnet laut Wörterbuch „Duden“ die „tödliche Gewalt gegen Frauen oder eine Frau aufgrund des Geschlechts“ – meint also jene Frauen, die Opfer eines Mordverbrechens wurden, weil sie eine Frau sind: 133 an der Zahl im Jahr 2018 in ganz Italien, vier (!) davon in Südtirol. Und auch 2020 wurden bereits zwei Frauen in Südtirol mutmaßlich von ihrem Ehemann bzw. von einem Stalker ermordet.

Beim Thema Gewalt haben wir es vor allem mit kulturell geprägten Stereotypen zu tun. Dies wird klar, wenn man sich eine repräsentative Umfrage des staatlichen Statistikinstitutes ISTAT aus dem Jahr 2019 ansieht. So sagten beinahe 40% der Befragten, dass eine Frau, die keinen Geschlechtsverkehr haben wolle, dies in jedem Fall auch zu vermeiden imstande sei. 24% gaben an, dass Frauen mit ihrem Kleidungsstil sexuelle Gewalt provozieren könnten (also zum Teil selbst daran schuld seien). 7% gaben an, dass es immer oder unter manchen Umständen in Ordnung sei, wenn ein Mann seine Freundin ohrfeigen würde, wenn diese mit einem anderen Mann geflirtet habe. 6% finden, dass es in einer Paarbeziehung normal sei, wenn „ab und zu die Hand ausrutscht“.
Gewalttätiges Verhalten ist nicht angeboren, sondern erlernt. Erlernt vor allem über Erlebtes.Hier kommt ein zweiter Internationaler Tag ins Spiel, der am 20. November begangen wird: Der internationale Tag der Kinderrechte; in der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung verankert. Kinder sind nicht unbedingt direkt von Gewalt in der Familie betroffen, sondern häufig indirekt mitbetroffen, wenn sich diese Gewalt von einem Elternteil gegen das andere – meist die Mutter – richtet. Die Auswirkungen dieser Gewalt, welche die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes mitbekommen reichen von Schlafstörungen über Depressionen und Wut hin zu möglichen emotionalen und kognitiven Langzeitstörungen. Vor allem befinden sich Kinder, die in einer gewalttätigen Familie aufwachsen, in einem so genannten intergenerationellen Gewaltkreislauf. Will heißen, dass diese Kinder mit einer dreimal so hoher Wahrscheinlichkeit selbst in späteren Partnerschaften Gewalt erleben bzw. erdulden werden.

Diesen Kreislauf zu durchbrechen ist möglich, vor allem ist dies die Aufgabe der Gesellschaft und der Bildungseinrichtungen. Hier gibt es europaweit bereits Best-Practice-Beispiele wie jene der „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ (BIG). Sie wenden sich an Grundschulkinder und Jugendliche im Teenager-Alter und das Ziel dieser Workshops ist es, Kindern bereits im frühen Alter die Wichtigkeit von gewaltfreien Wegen der Konfliktlösung zu vermitteln. Gleichzeitig geht es darum, sie zu empowern, also zu bestärken und ihnen zudem Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen, wie sie sich selbst in Gewaltsituationen innerhalb der Familie verhalten und sich Unterstützung holen können. Für etwas ältere Jugendliche bietet BIG spezielle Workshops an, in denen sie für das Thema Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen sensibilisiert, und in der Gestaltung wertschätzender Beziehungen gefördert werden. Auch in anderen Ländern gibt es Beispiele solcher Initiativen.
Zentral ist in diesem Zusammenhang, dass sich diese Angebote gleichermaßen an Mädchen und Jungen richten, welche diese Kurse auch zusammen besuchen. Dies ist einerseits wichtig, da für Kinder und Jugendliche, welche Gewalt erleben, die Peer-Group einen besonderen Rückhalt bietet. Gemeinsam Konzepte der Gewaltfreiheit und Lösungsstrategien zu erarbeiten sind aus diesem Grund von großer Bedeutung. Zudem ist Gewaltfreiheit in zwischenmenschlichen Beziehungen ein Ziel, dass beide Geschlechter betrifft und miteinbeziehen sollte, um zu verhindern, dass sie später selbst in aktive gewalttätige Situationen in ihren partnerschaftlichen Beziehungen geraten.

Wir heben hier die Wichtigkeit von bereits bestehenden Projekten, wie dem Workshop „Ich sage Nein!“ hervor, der in Südtirol von den Frauenhäusern, unterstützt vom Landesbeirat für Chancengleichheit, für Mädchen ab der 3. Mittelschule angeboten wird. Dieser Workshop richtet sich speziell und ausschließlich an Mädchen, um mit ihnen in einem geschützten Rahmen zum Thema Gewalt an Frauen arbeiten zu können. Solcherlei Initiativen sind wichtig und richtig. Auf keinen Fall soll unser Vorschlag als Ersatz dieses Projektes aufgefasst werden. Vielmehr verstehen wir ihn als Ergänzung. Eine Ergänzung die in jeder Schulstufe fixer Bestandteil des Lehrplans werden soll, verbindlich vom Schulamt finanziert.

Mädchen und Jungen müssen zu Gewalt gleichermaßen sensibilisiert werden, um sie davor zu schützen, gar nicht erst in diese berüchtigte Gewaltspirale zu geraten. Mit dieser Präventionsarbeit kann nicht früh genug angefangen werden. Von der ersten Klasse bis zum Austritt aus der Schule sind derlei Initiativen von enorm großem Wert.

Daher beauftragt der Südtiroler Landtag die Landesregierung

  1. In allen Schulstufen altersgerechte Angebote wie Workshops zum Thema „gewaltfreie Beziehungen“ zu etablieren, die sich gleichermaßen an Jungen und Mädchen richten sollen.
  2. Eine feste Finanzierung für solcherlei Projekte vorzusehen, wobei Gelder für bestehende Projekte der Gewaltprävention keinesfalls gekürzt werden dürfen.
  3. In den Weiterbildungsprogrammen für Lehrpersonen und Kindergärtner*innen die Thematik der Gewalt an Mädchen und Frauen vertieft und permanent zu behandeln und dies auch als Angebot der schulinternen Fortbildung zu forcieren.

Bozen, 04.11.2020

Landtagsabgeordnete
Brigitte Foppa
Riccardo Dello Sbarba
Hanspeter Staffler

Author: Heidi

Lumen - Museum für
Kampagne „Bevor es
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