HomeDeutschHanspeter Stafflers Rede zum Haushalt 2020-2022

Hanspeter Stafflers Rede zum Haushalt 2020-2022

Gedanken zu den Überflieger-Gedanken

Die ordentliche Tätigkeit der Legislatur 2018-2023 des Südtiroler Landtages hat mit dieser Haushaltsdebatte wirklich begonnen. Wirklich deshalb, weil der vergangene Haushalt ein Übergangshaushalt war. Dieser Haushalt zeigt nun das erste Mal die neuen Kräfteverhältnisse auf und gibt auch Einsicht in den eingeschlagenen Kurs.

Die Haushaltsrede von Landeshauptmann Kompatscher ist mehr eine zweite Regierungserklärung von einem Balkon herab als eine tiefschürfende Offenlegung der geplanten Maßnahmen für das kommende Jahr und die beiden Folgejahre. Hierbei zeigt sich auch die kniffelige Aufgabe, die uns der Landeshauptmann gestellt hat und so formuliert werden kann: Findet heraus, wo die Maßnahmen eingeordnet sind, die meiner Rede Taten folgen lassen? Und Zusatzpunkte gibt es (vielleicht) noch für jene, die die Dotierung der Maßnahmen ausfindig machen und richtig einschätzen können.

Anstelle der Abgrenzung der Politikfelder, die Art der Beackerung und die Art der Bestellung wurde eingangs der Rede viel gesprochen über das Klima, über das wirkliche und über das gesellschaftliche, über Vertrauen und über die Schwester des Vertrauens, das Misstrauen und über Gemeinsamkeit und die gemeinsamen Umgangsformen.

„Schaffen wir ein Klima des Vertrauens“ war fast schon ein Leitsatz, jedenfalls ein Anker. Und Vertrauen schafft man entlang der Machtskala von oben nach unten: Eltern vertrauen den Kindern, Führungskräfte vertrauen den Mitarbeitenden und die mächtige Landesregierung vertraut dem etwas weniger mächtigen Landtag. Das ist der Beginn des Vertrauensprozesses.

Vertrauen kann man schaffen mit Kommunikation, Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit, Fehlerkultur und Reifezeit.

Für Vertrauen braucht es gute Kommunikation. Die Frage, die sich dabei stellt: Wird von Seiten der Landesregierung offen und wertschätzend kommuniziert? Die Repliken von der Regierungsbank hier im Hohen Haus aber auch gelegentlich über die Medien waren oft gerade noch auf der Höhe der Gürtellinie und leider manchmal auch darunter.

Für Vertrauen braucht es Vertrauenswürdigkeit: Wie oft wurde beispielsweise die A22 schon heimgeholt?

Für Vertrauen braucht es Ehrlichkeit: Es wird das Land der Artenvielfalt ausgerufen, aber wenn wir auf die Gülle- und Pestizidproblematik hinweisen, wird entweder geschwiegen oder gepoltert.

Für Vertrauen braucht es Fehlerkultur: Die Regierung hat versucht, das IPCA-Desaster in Rom (also jenen Artikel, der die lokale Inflationsrate zur Basis der Kollektivvertragsverhandlungen hätte machen sollen) der Opposition in die Schuhe zu schieben.

Für Vertrauen braucht es Zeit zum Reifen: Speed kills. Ich darf nur an die Handelsordnung erinnern, die im Eiltempo durch den Gesetzgebungsausschuss und durch den Landtag gepresst wurde. Zeit, um etwas reifen zu lassen, gab es nicht.

Zur Klimadebatte – eine Modeerscheinung

Für uns ist es wirklich schön zu hören, dass der Klimaschutz als wichtige Agenda in das Palais Widmann eingezogen ist. Wie will die Landesregierun nun die Ziele zum Klimaschutz erreichen?

Unser Vorschlag zur Ausrufung des Klimanotstandes und zur Aktualisierung des Klimaplans wurde herablassend versenkt. Die inhaltliche und formale Antwort der Landesregierung war in diesem Fall nicht klimaneutral.

Ansätze, um das Verkehrsaufkommen einzudämmen oder zu vermeiden sind nicht vorhanden. Denn Verkehrsvermeidung ist die allerwichtigste Maßnahme aber oftmals werden Entscheidungen gefällt, die das Gegenteil bewirken: Straßenausbau, Flughafenpotenzierung und ausufernde Eventkultur treiben die Verkehrsquote in die Höhe.

Die Landwirtschaft ist zwischen einem Viertel und einem Drittel an den Treibhausgasen beteiligt, vor allem die Viehwirtschaft mit ihren lokalen und globalen Auswirkungen.

Die Viehwirtschaft ist bei uns nicht nachhaltig, wir sind schon vor vielen Jahren aus der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft am Betrieb ausgestiegen, denn mehr als 50% des Futters werden eingeführt aus Italien, Europa und aus Südamerika. Wollten wir diese importierten Futtermengen in Südtirol anbauen, was ein nachhaltiger Ansatz wäre, dann müssten dafür die rund 19.000 Hektar Intensiv-Obstbauflächen herangezogen werden. Hierzu finden sich im Haushalt keinerlei Angaben.

„Es sei ein vernünftiger Mittelweg zwischen Lebensstil und Technologie notwendig, um die Klima- und wohl auch Biodiversitätsziele zu erreichen“ haben wir gehört. Das bedeutet aber weitergedacht, den Rückzug der Politik aus dem Diskurs um Klima und Artenvielfalt. Wo bleibt „Das Prinzip Verantwortung“?

Nehmen wir einen Dampfer als Bild unserer Gesellschaft:

Die Technologie macht ihn schnell oder langsam, sauber oder schmutzig, angenehm oder ungemütlich.

Der Lebensstil an Bord kann bescheiden oder prassend sein, ungleich oder gleich, rücksichtsvoll oder egoistisch.

Aber weder Technologie noch Lebensstil haben Einfluss auf den Kurs des Dampfers, auf sein Reiseziel. Der Kurs wird auf der Brücke bestimmt und die Brücke ist die Politik: Der Landtag und im verstärkten Ausmaß die Landesregierung.

„Südtirol kann die Welt nicht retten“, diese Aussage geht schon unter die Haut. Denn wenn es um die Welt geht, argumentieren wir mit der Kleinheit und hoffen, uns rauszureden. Und leider funktioniert das oftmals. Diese Meinung hört man dann auch auf der Straße und im Gasthaus. Was können wir schon ausrichten? Das ist ein Sensibilisieren der Bevölkerung in die falsche Richtung und entspricht nicht dem Prinzip Verantwortung, dem wir Folge leisten müssten.

„Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ steht im Talmud, in den heiligen Schriften des Judentums geschrieben.

Nur wenn wir die volle Verantwortung für unser Tun und Handeln übernehmen, nur wenn wir uns im Klaren sind, dass jede Tonne CO2, jede Tonne Methan und jede Tonne Lachgas aus der Landwirtschaft, die wir hier nicht emittieren bzw. ausstoßen zur Rettung der Welt beitragen, nur dann machen wir verantwortungsvolle Politik. Jede politische Ausrede aber führt zu einer Grundstimmung, wir können eh nicht viel bewegen und in weiterer Folge, sollen doch die Großen, die Anderen alles regeln.

Es ist mir leider nicht gelungen, die hehren Klimaziele aus der Rede des Landeshauptmannes, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit den konkreten Maßnahmen zu verknüpfen.

Soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit – Stiefkinder oder lästiges Beiwerk

Das Thema Verteilungsgerechtigkeit oder soziale Gerechtigkeit wurde angesprochen. Es stimmt, dass bei uns die sozialen Unterschiede noch lange nicht so krass sind, wie anderswo. Dies zeigt auch der GINI-Koeffizient als statistisches Maß.

Aber die Menschen auf den Straßen der Stadt, in den Dörfern und auch auf unseren Höfen spüren etwas anderes: sie haben oftmals mit dem Einkommen kein Auskommen.  Weil sie nicht im Stande sind, die kritische Schwelle der Einnahmen-Ausgabenbilanz zu nehmen.  Wieso müssen und mussten sich die Gewerkschaften fast bis aufs Blut mit der Landesregierung streiten? Wieso werden die Territorialen Zusatzverträge kaum oder nur schleppend gemacht?

Gut, es gibt zarte Ansätze für eine politische Steuerung, indem jene Betriebe von den IRAP-Steuerbegünstigungen ausgeschlossen sind, welche sich nicht an die Kollektivverträge halten.

Das sollte aber in einem modernen Land das Normale sein. Für unseren Arbeitsmarkt ist es aber notwendig, den politischen Lenkungswillen auf territoriale Zusatzverträge zu konzentrieren. Weil nur territoriale Zusatzverträge die Kluft zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten wirklich gerecht werden können.

Mit dem Slogan „Lebenswertestes Land“ wollen Sie Herr Landeshauptmann dagegen halten. Das ist ein guter Marketingspruch, der wie so oft im Marketing, das reale Produkt nicht widerspiegelt.

Es wird deshalb unserer Situation nicht gerecht, weil laut WIFO-Studie 7 von 10 Studenten, die im Ausland studieren, auch im Ausland bleiben.

Die kürzliche aufgelegte Studie 2.19 des Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) beinhaltet eine Reihe hochinteressanter Erkenntnisse zum „Brain Drain – Brain Gain: Wie attraktiv ist Südtirols Arbeitsmarkt?“. Dabei zeigt sich, dass ein großer Teil der Südtiroler Abgewanderten mit einem deutschen oder österreichischen Hochschulabschluss auch in diesen Ländern geblieben ist. Die wichtigsten fünf Gründe für den Wegzug aus Südtirol sind:

  • Wenig interessante Arbeitsmöglichkeiten;
  • Geringe Karrieremöglichkeiten;
  • Fehlendes Arbeitsplatzangebot für die Ausbildung;
  • Niedrige Löhne im Verhältnis zu den Kosten;
  • Verschlossene Mentalität.

Während die ersten drei Punkte (siehe dort) strukturelle Hintergründe haben und damit durch richtige Maßnahmen lediglich mittel- bis langfristig eine Besserung erhoffen lassen, und der letzte Punkt bezüglich der „Verschlossenen Mentalität“ kulturelle Hintergründe aufweist und somit entsprechende Maßnahmen nur langfristig über Generationen zu Verbesserungen führen können, sind die niedrigen Löhne im Verhältnis zu den Kosten kurzfristig veränderbar. An dieser Stelle lässt sich heute und sofort der Hebel ansetzen, um hoffentlich einen Teil der potenziellen Abwanderer zu halten oder wiederum nach Südtirol zu locken.

Es wäre ein verantwortungsloses Versäumnis, diesen Hebel nicht zu betätigen, zumal Österreich und Deutschland in den vergangenen zehn Jahren ordentlich in Löhne und Gehälter investiert haben und sich somit Südtirol gegenüber, einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen konnten. Seit 2011 und wurden neun Gehaltsabschlüsse gemacht mit insgesamt 18 % Lohnsteigerung.

Endlich wurde nun ein Kollektivvertrag zu Ende verhandelt und das ist gut so. Aber nehmen sie doch Geld aus dem überbordenden Investitionsvolumen und stecken es jetzt in die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, es sind so viele Breichs- oder Landeszusatzverträge offen: Lehrerinnen und Lehrer, Krankenpflegerinnen, Pflegekräfte sowie die Bediensteten der Gemeindestuben und der Landesämter. Machen sie es jetzt.

Und noch ein Gedanke zum Brain Drain: Ich weiß nicht wie es gelungen ist, eine so gewaltige Anti-Wolfskampagne zu planen, zu finanzieren und umzusetzen. Die Strippenzieher und Hintermänner werden es schon wissen. Aber haben sich diese Strategen auch Gedanken gemacht, was das mit unseren jungen Menschen im Ausland machen könnte?

Unsere jungen Studentinnen und Studenten lesen regelmäßig die hiesige Tagespresse und werden regelmäßig mit zähnefletschenden Wölfen, grausigen Bildern von Rissen konfrontiert. Abgesehen davon, dass diese Bilder abstoßend sind, hinterlassen sie im Ausland den Eindruck, wir lebten hier in einer von Wölfen beherrschten Wildnis. Aber noch bedenklicher ist der Eindruck, den unsere Strategen nach außen vermitteln: Südtirol ist ein Land hinter den sieben Bergen, wo sich Wolf und Fuchs gute Nacht sagen. Und das ist für unsere Jugend nicht das Land, wo sie leben möchte. Deshalb die Bitte an Sie Herr Landeshauptmann, die Hintermänner zum Wohl und Ansehen unseres Lands zu zähmen.

Die Verwaltung ist in einer kritischen Umbruchphase, die demographische Entwicklung stellt das Land vor Herausforderungen aber auch der ständige argwöhnische Blick aus den Reihen der Wirtschaftselite, tut der öffentlichen Sache nicht gut.

Um dieser schwierigen Situation zu begegnen, wurde die Digitale Transformation oder der Informationstechnische Weg als Lösung angeboten. Es würden 200 Verwaltungsverfahren digitalisiert, ein Datacenter gebaut und das Glasfasernetz weiterhin ausgelegt.

Dieser Lösungsansatz ist eine zweitrangige Maßnahme aber im Gesamtkontext gesehen völlig ungenügend. Die Lösung für ein immer größer werdendes Personalproblem im öffentlichen Dienst von der Informationstechnik her denken ist zu einseitig. Um dieses Phänomen angehen zu können, muss man es „Von den Menschen her denken“.

Von den über 20.000 öffentlich Bediensteten (ohne Sanität) arbeiten über 15.000 in den Kindergärten, Grund-, Mittel- und Oberschulen. Auch diese Menschen gehen demnächst in Pension und wie wollen Sie diese informationstechnisch ablösen? Und wenn wir erst über das Personal in der Sanität und im Sozialbereich sprechen, wie wollen wir diese informationstechnisch ablösen? Hier handelt es sich um einen Denkfehler.

Deshalb steht dieser Ansatz auf wackeligen Beinen und ist wenig Erfolg versprechend. „Von den Menschen her denken“ würde heißen:  Nachdenken über Age Management, nachdenken über Employer Branding (Arbeitgeber attraktiver machen), nachdenken über gutes Betriebsklima und nachdenken über die Modernisierung der Kollektivverträge.

Der Mangel an Fachkräften wurde richtigerweise angesprochen und dass wir vor allem für das Gastgewerbe, für die Landwirtschaftlichen Genossenschaften und für das Baugewerbe qualifizierte ausländische Arbeitskräfte ins Land holen sollten. Anstatt sich aber Gedanken zu machen, wie man das überhitzte Gast- und Baugewerbe etwas abkühlen könnte, wird die Flucht nach vorne angetreten und es werden noch mehr ausländische Arbeitskräfte angeworben.

Aber hat man die Rechnung mit dem Wirt gemacht? Ich glaube nein, denn unsere Konkurrenten um die qualifizierte ausländische Arbeitskraft sind die DACH-Staaten sowie Mittel- und Nordeuropa. Diese Länder haben uns gegenüber einen großen Vorteil, sie bezahlen besser und haben mit Ausnahme der Schweiz geringere Lebenshaltungskosten. Und somit wird sich die qualifizierte ausländische Arbeitskraft sehr wahrscheinlich dort niederlassen und wir werden das Nachsehen haben.

Bezeichnend ist auch, dass laut der Rede des Landeshauptmannes der Fachkräftemangel die Wirtschaftsbereiche Tourismus, Landwirtschaft und Baugewerbe betrifft und betreffen wird. Aber genauso prekär, wenn nicht prekärer ist und wird der Personalstand im Pflegebereich sein. Hier geht es allerdings um den Sozialbereich, dessen Schwierigkeiten werden im Gegensatz zu den Schwierigkeiten der boomenden Wirtschaftsäste nicht zur Kenntnis genommen.

Auch hier bin ich nicht in der Lage, abgesehen vom Steuerfreibetrag für den regionalen IRPEF-Zuschlag, weitere konkrete Maßnahmen zu finden.

Gesundheit und der zukünftige Weg

Der Begriff „Eigenverantwortung“ jeder einzelnen Person wurde geschickt in die Rede eingeflochten. Ja, jeder soll möglichst eigenverantwortlich agieren können. Aber dahinter steckt doch auch das Neoliberale Konzept der Eigenverantwortung, nämlich, dass sich jeder um eine Zusatzrentenversicherung und um einen ergänzenden Gesundheitsfonds bemühen solle. Der Wohlfahrtsstaat wird langsam privatisiert und zieht sich aus dem Leben der Menschen zurück. Die ersten Vorboten lassen sich nun auch bei uns erkennen.

Wo ich auch schon beim Thema Gesundheit bin. Unser Gesundheitssystem war immer besser als sein Ruf. Aber politische Entscheidungen wie Zentralisierung der Organisation durch Einführung einer Generaldirektion oder das mantraartige Allheilmittel der zentralisierten und vereinheitlichten IT, haben dem System unter dem Deckmantel der „Effizienzsteigerung“ seiner Identität, Flexibilität und lokalen Angepasstheit beraubt. Den Krankenhäusern wurde damit die Autonomie genommen.

Durch diese Entscheidungen wurde die Sanität mürbe gemacht und mit der entsprechenden medialen Begleitung auch noch schlecht geredet. Dass damit bei den Mitarbeitenden die Frustration ansteigt, ist nicht verwunderlich. Und nun kommt auf schleichenden Sohlen der Umstieg auf die Privatmedizin.

Im offiziellen Jargon heißt dies „Verstärkte Einbindung privater Strukturen“, weil es doch um die Reduzierung der Wartezeiten geht. Über das Vehikel der Wartezeitproblematik wird nun den Menschen die Privatisierung der Medizin schmackhaft gemacht.

Privatmedizin wird durchaus geschickt als das neue Aspirin der mittlerweile chronischen Wartezeitschmerzen angepriesen, bis dann eines Tages die Bevölkerung wirklich glaubt, ohne eine Packung Wartezeitverkürzungs-Aspirin ginge es nicht mehr. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Privatmedizin gewissermaßen nicht mehr wegzudenken sein wird aus den Blutbahnen der Gesellschaft.

Es gibt aber auch interessante Entwicklungen in den Notaufnahmen, der Einsatz von Hausärzten kann in der Tat zu Entlastungen führen. Aber die Vermarktungsintensität dieser Maßnahme führt mich zum Spruch, der aus der Medizin stammt „Der Berg kreißt und gebar eine Maus“.

Südtirol, das Land der Artenvielfalt und Biodiversität

„Südtirol, sei ein Land der Artenvielfalt. Diese Artenvielfalt zu schützen und für die Nachwelt zu bewahren, sei eine unserer großen Verantwortungen.“ Dieses Ziel will man durch die Reorganisation des Sachbereichs Biodiversität konkret angehen, was aber angesichts der noch nicht verdauten vorhergehenden Reorganisation der Abteilung Natur und Landschaft nur wiederum Verwirrung stiften wird.

Die Mitarbeitenden müssen sich nun schon wieder mit sich selber, mit den internen Abläufen und Rangkämpfen beschäftigen und werden weder Zeit noch Kraft finden, sich endlich der drangsalierten Natur- und Kulturlandschaft zu widmen. Derweil feiern Bauunternehmen und Landwirtschaft fröhliche Urständ, baggern und verschieben Erdhaufen, planieren und füllen die Landschaft auf. Was dabei alles zugrunde geht an Feucht- und Trockenlebensräumen, an Kleingewässern und Lesesteinhaufen, an Schmetterlingen und Wildbienen scheint von der Regierung im Land der Artenvielfalt nicht wahrgenommen zu werden.

Wie ist ansonsten die Gleichgültigkeit einzuordnen, mit der die Landesregierung das Problem der 100.000 Bagatelleingriffe achselzuckend weiterverfolgt?

Wie ist die Gleichgültigkeit einzuordnen, mit der die Landesregierung das unsägliche Gülleproblem nicht gewillt ist, zu behandeln und wie ist die Gleichgültigkeit einzuordnen, mit der die Landesregierung keinen Plan zum Ausstieg aus der chemisch-synthetischen Pestizidwirtschaft bereit ist, auszuarbeiten?

Das sind jene hochwirksamen Faktoren, die aus einem ehemaligen Land der Artenvielfalt ein Land der Arteneinfalt gemacht haben. Das sind jene hochwirksamen Faktoren, die die Tier- und Pflanzenwelt stark bedrängen, sodass über 40 Prozent der Tierarten und über 30 Prozent der Pflanzenarten gefährdet sind. Das sind jene hochwirksamen Faktoren, die die wirkliche Biodiversität vernichten und dagegen wird auch ein oftmals gedemütigter und deshalb mittlerweile introvertierter Sachbereich „Biodiversität“ nicht ankommen.

Bei dieser Frage war ich – wen wird es wundern – auch nicht in der Lage, den Zusammenhang zwischen Rede und Maßnahmen zu finden auch wenn – und das fällt auf – der Denkmalschutz und die Raumplanung besser dotiert wurden als voriges Jahr.

Verkehr und Mobilität – Chancen und Risiken

Der stolze Blick auf unser öffentliches Verkehrssystem ist berechtigt. In der Tat ist es seit dem Jahr 2005 gelungen, den öffentlichen Personennahverkehr salonfähig zu machen. Die Zug- und Busverbindungen sind getaktet, nationale und sogar internationale Anschlüsse gibt es zur Auswahl. Aber trotz dieser Angebote ist es nicht gelungen, den Individualverkehr zu reduzieren. Seit dem Jahr 2013 hat der Individualverkehr auf unseren Jahren jährlich um ungefähr 3 Prozent zugenommen. Das sind Zuwachsraten, die uns zwar als Besitzer eines Sparbuches jauchzen ließen, beim Straßenverkehr jedoch treibt es mir die Sorgenfalten ins Gesicht. (Zahlen: Südtiroler Verkehrszählstellen.)

Dabei heißt es immer wieder, die erste und wichtigste Maßnahme des Mobilitätsmanagements sei die Verkehrsvermeidung. Verkehr vermeiden lässt sich aber nur, wenn wir endlich mit der Eventhysterie aufhören: Überall Anziehungspunkte, Publikumsmagneten, Aussichtsplattformen oder Weltnaturerbe, Weltkulturerbe und Filmprojekte. Alles Initiativen, die spärlich und intelligent gesetzt, bereichernd sein könnten.

Aber als Massenware im ganzen Land verteilt, verführen diese Hotspots geradezu Einheimische und Gäste – von Prags nach Prad am Stilfserjoch, vom Timmelsjoch zum Karerpass und vom Ötzi in Bozen zum Archäopark in Schnals zu pendeln. Und auf dem Weg sollen die Leute auch noch die Gärten von Schloss Trautmannsdorf, zukünftig den Brixner Hofburggarten oder die Weinkellereien Tramin, Kaltern und Bozen besuchen. Alles tolle Einzelobjekte – keine Frage – aber seien wir doch ehrlich, langsam wird es doch ein bissl viel.

Dass aber gleich auf einer Seite im Text einerseits von der Reduktion des Individualverkehrs die Rede ist und es andererseits zu einer stolzen Aufzählung von Straßenbau-Großprojekten kommt, zeigt von der zwiespältigen Sensibilität in Sachen Individualverkehr. Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten, wurde vor Jahrzehnten auf den Unis gelehrt und mittlerweile hat dieses theoretische Wissen den Praxistest mehr als bestanden.

Zu den über 1000 Seiten

Ein öffentlicher Haushalt ist ein Buch mit sieben Siegeln. Für uns Abgeordnete ist es jedesmal eine Herausforderung, in kurzer Zeit, verschlüsselte Informationen aus einem 1000-Seiten-Dokument zu extrahieren.

Wie schaut der Haushalt nun aus?

Das Haushaltsvolumen hält mit 6,3 Milliarden auf hohem Niveau, die Kassenkompetenz verfügt über eine weitere Milliarde Euro. Es kann also nach Kräften gewirtschaftet werden.

Laut Aussagen des Landeshauptmannes belaufen sich die Investitionen auf 650 Millionen, laut Unterlagen liegen die Bruttoinvestitionen über einer Milliarde Euro. Das sind 10% bzw. 16% der Gesamtausgaben und um es mit Hans Rosenthal – jetzt wende ich mich mit diesem Zitat an die deutschsprachigen Babyboomer unter uns – zu sagen: „Das ist Spitze“. Sind es nun 650 Millionen oder eine Milliarde?

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei eine 16%igen Investitionsquote die Wehklagen aus den Wirtschaftskreisen schwer nachvollziehbar sind. Deutschland und Österreich verfügen vergleichsweise über Investitionsquoten von 6%.

Der öffentliche Haushalt ist in erster Linie ein Instrument, das für das Gemeinwohl eingesetzt werden soll. Bildung, Gesundheit, Soziales und das Funktionieren des Gemeinwesens sind jene Bereiche, die vom Haushalt zu bedienen sind.

Investitionen und Transferzahlungen an die Wirtschaftstreibenden sind dann wichtig, wenn der Wirtschaftsmotor stottert. Eine Wirtschaft auf Hochtouren braucht kaum Subventionen, das führt höchstens zur Überhitzung des Motors und schlimmstenfalls zu einem veritablen Motorschaden. In unserer Jugend hatten wir dafür eine klare Ansage, als hochfrisierte 50iger Vespas den Geist aufgaben: „Di Troppl isch blockiert“ hatte es geheißen. Und das wollen wir mit Sicherheit nicht.

In Zeiten des wirtschaftlichen Booms, sollen die öffentlichen Geldmittel in das öffentliche Personal, in Bildung, Gesundheits- und Sozialsystem investiert werden.

In all diesen Bereichen lässt sich aber aus den bisher zugängigen Unterlagen ein gewisser Spargedanke erkennen, denn sie sind tendenziell unterdotiert.

Sehr gut dotiert ist hingegen der Bereich Mobilität, wovon dankenswerterweise auch der ÖPNV profitiert. Aber es lässt sich klar und deutlich die Handschrift des Landesrates für Mobilität erkennen, der als Bauingenieur nun nach Herzenslust Straßenbau-Großprojekte wie die Einfahrt ins Gadertal, die Umfahrung Kastelbell oder den Hörtenbergtunnel vorantreiben kann. Bei so viel Gestaltungs- und Finanzkraft kommt bei einem Techniker wie ihm Freude auf und wir können zuversichtlich sein, dass die Bauwerke alsbald im Glanz der Betonkonstruktionen den Verkehr vorbeischleusen oder gar in sich hineinschlucken werden.

Ob diese Baufreude verkehrs- oder klimapolitisch der richtige Weg ist, wird an dieser Stelle stark bezweifelt. Die Verkehrssignale stehen auf noch mehr Individualverkehr.

Auch der Landesrat für Hochbau darf zufrieden sein und mit ihm die Bauwirtschaft. Diese weiß zwar momentan nicht, wo sie mit den Arbeiten beginnen soll, dafür gibt es noch ein paar öffentliche Bauten dazu.

Das Gesundheitswesen ist mit 1,3 Milliarden gut ausgestattet, wenngleich mit Sicherheit das eine oder andere Milliönchen per Nachtragshaushalt dazu kommen wird. Auch weil ja immer mehr Geld für die Privatmedizin aufgebracht wird, wozu unser Landesrat eine fast schon innige Beziehung hegt. Es war aber von vornherein klar, dass der Wirtschaftsfachmann sein und damit unser aller Heil im Privaten suchen wird.

Trotz Privatisierungsreigen wird es notwendig sein, sich in erster Linie um das Krankenhauspersonal zu kümmern. Damit sind jetzt nicht die Ärztinnen und Ärzte gemeint, sondern das restliche Krankenhauspersonal, welches seit Jahren auf einen modernen und lukrativen Bereichsvertrag wartet.

Schwieriger scheint es im Sozialen zu sein. Die Seniorenwohnheime bekommen die anstehende Lohnerhöhung für das Pflegepersonal nicht aus dem Topf des Landes, sondern sind gezwungen, an der Schraube der Pflegesätze zu drehen. Viele Familien werden sich bald ungläubig die Augen reiben, wenn die Preissteigerung für ihre Angehörigen, welche in den Seniorenwohnheimen leben, ins Haus flattert.

Wieso die notwendigen Geldmittel nicht über das Kapitel der Kollektivvertragsverhandlungen zur Verfügung gestellt wurden, ist einigermaßen schleierhaft und auch rechtlich nicht ganz einwandfrei. Gleiches gilt übrigens auch für das Personal der Gemeinden und Bezirksgemeinschaften. Die Gemeinden werden auch zur Kasse gebeten, einen zaghaften Aufschrei hat es auch gegeben.

Auch beim sozialen Wohnbau ist Sparen angesagt. Das Wohnbauinstitut muss anscheinend auf Reserven zurückgreifen, um tätig zu werden. Aber nicht nur unsere Arbeiter, Arbeiterinnen und Angestellten brauchen leistbare Wohnungen, auch unsere Gastarbeiter suchen nach wie vor verzweifelt nach vernünftigen Unterkünften. Wir brauchen die Menschen für unsere Wirtschaft, stellen aber viel zu wenig Wohnraum zur Verfügung. Wenn im sozialen Wohnungsbau weiterhin mit angezogener Handbremse gefahren wird, wird „leistbares Wohnen“ immer mehr zum Traum oder für einige gar zum Albtraum.

Bei der Wohnbauförderung soll das Dickicht der Vorschriften gelichtet werden. Gut, das scheint nach Vereinfachung zu klingen. Aber auch die Treffsicherheit soll erhöht werden. Weniger gut, weil da beißt sich die Katze in den Schwanz. Entweder es werden die Vorschriften gelichtet und die Treffsicherheit geht zurück oder umgekehrt. Aber weniger Vorschriften und mehr Treffsicherheit ist eine Beziehung, die es nicht gibt. Auf den Straßenkodex umgelegt würde es heißen, weniger Verkehrsregeln und weniger Verkehrshinweisschilder würden weniger Unfälle bewirken.

Wer glaubt an so eine Beziehung?

Die Bildungsquote von 15% kann sich im internationalen Vergleich sehen lassen, sie wird die drei Bildungslandesräte freuen. Dennoch ziehen am Horizont dunkle Wolken auf, denn es wird sehr schwer werden, die Pensionierungswelle durch neues Personal zu glätten. Magere und mühsam ausverhandelte Kollektivverträge sind nur eine Seite der Medaille, die zunehmenden Probleme mit schwierigen Schülern und oftmals mit noch schwierigeren Eltern ist die andere Seite. Diese Anforderungen laugen unsere Lehrerinnen und Lehrer aus.

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Bevölkerungsschutz und Tourismus scheinen mittelmäßig auszusteigen, wobei hier die Zahlen nicht ganz klar sind. Hat der Landesrat nun 170 Millionen laut Haushaltszusammenfassung oder 220 Millionen laut Zeitungsartikel zur Verfügung? Die Geldmittel für den ländlichen Raum sind jedenfalls vorhanden. Erfreulich dabei ist, dass Bagatelleingriffe nicht mehr mit Beiträgen bedacht werden. Das ist ein erster wichtiger Schritt, der zweite – nämlich die Abschaffung der Bagatelleingriffe – sollte zum Schutz von Natur und Landschaft so bald wie möglich erfolgen.

Damit wäre der Landesrätin für Natur, Landschaft und Denkmalpflege wirklich geholfen. Sie darf sich zwar heuer über drei Millionen Euro mehr freuen als letzthin aber mit 0,25 % des Haushaltes macht sie halt auch keine großen Sprünge. Eine kräftige indirekte Unterstützung von Seiten der Landwirtschaft würde ihrem Ressort guttun, deshalb darf ich ihr die Abschaffung der Bagatelleingriffe auch ans Herz legen. Ohne viel Aufwand an Geld könnte damit echter Natur- und Landschaftsschutz betrieben werden.

Zum Schluss ein paar Gedanken

Wir freuen uns über den prachtvollen Haushalt und über die vollen Kassen. Wir nehmen auch anerkennend zur Kenntnis, dass die Bestimmungen in Zusammenhang zum Stabilitätsgesetz nicht mit blinden Passagieren aufgefüllt wurde. Unser Aufbegehren im vergangenen Frühling wurde somit dieses Mal erhört.

Die guten Wirtschaftsfaktoren wurden immer wieder mit denen italienischer Regionen verglichen, das ist legitim aber entspricht nur teilweise unserer Wirklichkeit. Unser Wirtschaftsraum in den Bergen ist aufgrund der wichtigsten Kennzahlen wie BIP pro Kopf, Beschäftigungsquote und Arbeitslosenquote unzweifelhaft Teil des mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes oder zumindest eindeutig Teil der DACH-Staaten.

Deshalb ist es notwendig, das Leben unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Kontext zu sehen. Anpassung der Löhne und Gehälter an die hohen Lebenshaltungskosten ist das Gebot der Stunde. Bei diesem prall gefüllten Haushaltsbeutel ist es heute und jetzt möglich. Die günstige Gelegenheit sollte nicht verpasst werden, die Zukunft wird es Ihnen und ein bisschen auch uns Landtagsabgeordneten danken.

Zur Klima- und Biodiversitätsdebatte möchte ich nur so viel sagen: Sie haben in Ihrer Rede ein grünes Manifest eingefügt und ich will gar nicht daran zweifeln, dass sie es auch so meinen. Aber wenn es um den „Kern“ geht, ums „dunque“ geht, wenn wir Grüneaufmerksam machen, dass Bagatelleingriffe, Gülleseen und Pestizidwirtschaft sowohl für das Klima als auch für die Artenvielfalt besonders schädlich sind, dann haben Sie uns bisher nicht geholfen. Da schicken Sie ihre Partei-Kollegen vor, welche die Mitleidsmasche, den Poltergeist oder die Vernunftschublade spielen.

Es beginnt also bereits in der nachgeordneten Ebene die Oppositionsarbeit, wie sollen jemals Ihre Gedanken und Ideen den fruchtbaren Ackerboden erreichen, um zu keimen und Wurzeln zu schlagen? Glauben Sie mir, mit dieser Mannschaft (und das meine ich wortwörtlich), mit diesem Koalitionspartner ist dies ein Ding der Unmöglichkeit. Wollen Sie wirklich in diese Richtung gehen, dann müssen Sie eher heute als morgen neue Partner suchen. Ansonsten bleiben Ihre Worte nichts als Ankündigungsparolen.

Abschließen möchte ich nochmals mit dem Vertrauen. Wenn Sie uns jedes Mal vor die schwierige Aufgabe stellen, die Materialwelt zwischen dem gesprochenen Wort (aus der Vogelperspektive) und den abertausenden Positionen auf über tausend Seiten tief versteckt im vorliegenden Papierberg wie Bergleute auszugraben, dann kommt die Vermutung auf, es gibt etwas zu verbergen. Vertrauensbildende Maßnahmen schauen anders aus.

Es gilt, geschätzter Landeshauptmann, das alte Sprichwort: „Versprich wenig, halte viel!“

Bozen, 11.12.2019

Hanspeter Staffler

Author: Heidi

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