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Bleifreie Jagd: Retten wir Adler, Bartgeier und andere Raubvögel vor der Vergiftung

BESCHLUSSANTRAG.

Seit Beginn der 1950er Jahre ist Blei aus fast all seinen vorherigen Anwendungsbereichen entfernt worden, anfangend beim Benzin über Lacke bis hin zum Einsatz in Druckereien und Rohrleitungen. Denn es handelt sich um ein hochgiftiges Material, das schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit hat. Eine der wenigen Ausnahmen stellt Schrotmunition dar, die vor allem zum Jagen verwendet wird.

Laut WWF landen in Europa jedes Jahr 21.000 Tonnen Bleimunition in der Umwelt. Von den Bleivergiftungen – auch unter dem Begriff „Saturnismus“ bekannt – sind verschiedene Tierarten,
insbesondere Vögel betroffen. Umfassende Studien haben bereits gezeigt, dass Bleimunition sehr problematisch ist; dies war auch Gegenstand zahlreicher Kampagnen, die sich für das Verbot von Bleikugeln und deren Ersetzung durch ungiftige Metalle einsetzten.

Erst kürzlich hat das Netzwerk Stop al piombo sulle Alpi („Kein Blei mehr in den Alpen“) über 21.000 Unterschriften gesammelt. In Europa sind Dänemark und die Niederlande bei diesem Thema Vorreiter; dort ist der Einsatz von Bleikugeln verboten. Für die anderen europäischen Länder sieht die EU-Verordnung Nr. 57/2021, die 2023 in Kraft treten wird, das Verbot von Schrotmunition mit Bleikügelchen in allen Feuchtgebieten vor, da diese Art von Munition vor allem bei der Entenjagd eingesetzt wird. In Europa sterben jedes Jahr eine Million Wasservögel an Bleivergiftungen. Für großes Aufsehen sorgte 2008 etwa das Massensterben der Rosaflamingos im Po-Delta.

In Italien ist das Verbot in den besonderen Schutzgebieten (BSG) sowie in den Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutzrichtlinie, das heißt, in den Natura-2000-Gebieten, bereits vorgesehen. Aber der Einsatz von Blei hat auch außerhalb dieser Gebiete schwerwiegende Folgen, vor allem für Raubvögel.

Ein Team aus britischen und deutschen Forschern hat kürzlich eine Studie vorgestellt, laut der 55.000 Raubvögel in Europa bereits Bleivergiftungen zum Opfer gefallen sind. Die Populationen der See- und Steinadler sind aufgrund von Bleivergiftungen etwa je um 14 % und um 13 % geschrumpft. Diese können auftreten, wenn die Raubvögel Tiere fressen, die mit bleihaltiger Munition angeschossen wurden.

Die chemische Reaktion zwischen Blei und saurem pH-Wert innerhalb des Organismus führt zu schwerwiegenden Vergiftungen, die als Saturnismus bekannt sind. Die Folgen sind in erster Linie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Niere, des Verdauungstrakts sowie des Nervensystems – und eine Reihe schwerwiegender Verhaltensstörungen bis hin zum Koma und zum Tod.

Schätzungen zufolge führt der Einsatz von Blei in Jagdmunition europaweit jährlich zum Tod von etwa 1,3 Millionen Exemplaren.

Der Ablauf des Saturnismus ist inzwischen bekannt: Oft werden in der Natur die Innereien von Schalenwild oder auch ganze Tierkadaver zurückgelassen, die mit Bleimuninition erlegt wurden. Beim Aufprall zerspringt das Bleischrot in hunderte kleine Splitter, welche die Umwelt und das Gewebe der Beutetiere kontaminieren. Wenn die Aasfresser (Geier, Milane, Rabenvögel, Bussarde, Adler und Rohrweier) diese Reste fressen, verschlingen sie automatisch auch die Bleisplitter mit und vergiften sich.

Die ersten Anzeichen von Saturnismus wurden bei Bartgeiern entdeckt, die ab 1986, als sie kurz vor dem Aussterben standen, aktiv wieder in den Alpen angesiedelt wurden. Bartgeier ernähren sich hauptsächlich von Knochen. Im Jahr 2008 hat der Nationalpark Stilfserjoch im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes die letzten der elf Bartgeier freigesetzt. Einer von diesen war Ikarus, dessen Freisetzung im Martelltal mit einem großen Festakt begangen wurde. Vier Monate später fand man ihn, mit dem Leben ringend, im Rabbi-Tal wieder. Er wurde eingefangen und man stellte fest, dass er an einer akuten Bleivergiftung litt. Ein Jahr später wurde er nach erfolgter Genesung wieder freigelassen, um kurz danach in der Schweiz tot aufgefunden zu werden. Die giftigen Stoffe hatten seinen Knochenbau saturiert, dieser wies Bleiwerte von 58 mg/kg auf. Zum Vergleich: Die Schwellenwerte liegen bei 8 bis 16 mg/kg.

Der Ornithologe und wissenschaftliche Mitarbeiter des Nationalparks Stilfserjoch, Enrico Bassi, der dort die Monitoring-Projekte zu Steinadlern und Bartgeiern betreut, führte nach diesem Vorfall eine wissenschaftliche Studie durch. Hierfür sammelte und untersuchte er 252 Kadaver (von 92 Steinadlern, 112 Geiern, 19 Mönchs- und 29 Bartgeiern) aus dem Alpenraum und dem Apennin. Die Studie kam zu dem Schluss, dass 44 % der untersuchten Raubvögel, also 111 Exemplare, mindestens ein stark mit Blei verunreinigtes Gewebe aufwiesen.

Der Großteil der kontaminierten Raubvögel hielt sich im sogenannten „Viereck des Todes“, zwischen den Provinzen Trient, Bozen, Brescia und Sondrio auf – eines der neben Österreich am meisten von Saturnismus betroffenen Gebiete Europas.

In einer anderen, vom Nationalpark Stilfserjoch durchgeführten Studie, wurden Proben aus den Eingeweiden von 153 Huftieren genommen, um festzustellen, wie groß die Gefahr für Raubvögel
ist. Das Ergebnis lautete: 62 % der Proben enthielten Splitter von Bleimunition. Laut ISPRA bleiben in den Alpen jedes Jahr zwischen 34.087 und 44.266 verseuchte Eingeweide zurück – und diese Zahlen beziehen sich einzig auf die Jagd von Schalenwild.

Das Land Südtirol hat den Einsatz von Bleimunition in den Natura-2000-Feuchtgebieten und am Stilfserjoch per Gesetz verboten. Obwohl es kein allgemeingültiges Verbot gibt, präzisiert die Landesbestimmung, dass die Verwendung von nicht giftiger Munition statt bleihaltiger Munition bei der Schalenwildentnahme wünschenswert ist. Dies scheint jedoch nicht auszureichen.

Die Forschung von Enrico Bassi hat gezeigt, dass 50 % der im Land Südtirol geretteten Adler an Bleivergiftungen leiden. Vier von elf Adlern weisen ein klinisches Krankheitsbild von Saturnismus auf, mit Werten, die zu den höchsten im gesamten Alpenraum zählen. Im Jahr 2013 wurde in Laas ein Steinadler gefunden, der deutliche Symptome einer Vergiftung aufwies. Die Analysen, die nach seinem Tod aufgrund von Bleivergiftung durchgeführt wurden, zeigten letale Werte in Leber und Knochen – ein Zeichen für eine lange Exposition gegenüber Blei. In seinem Bauch wurden neben Hasenresten in der Tat 12 Bleikügelchen aufgefunden, die normalerweise nicht für Schalenwild, sondern eben für Kleintiere wie Hasen eingesetzt werden.

Die Landesverwaltung und der Südtiroler Jagdverband hatten sich vor geraumer Zeit um eine Teilnahme am LIFE-Projekt „AlpsLeadFree“ (bleifreie Alpen) beworben; dies zeigt, dass dieses Problem tatsächlich besteht und von Interesse ist. Das LIFE-Projekt sah den experimentellen Einsatz von nicht giftiger Schrotmunition für die Schalenwildjagd vor, die Bewerbung erhielt jedoch keine Finanzierung vonseiten der EU. Munition aus alternativen Materialien wie beispielsweise Kupfer ist bereits auf dem Markt und wurde ausgiebig getestet, auch in Südtirol. Der Nationalpark Stilfserjoch etwa ist eines der Gebiete, in denen der Einsatz bleihaltiger Munition nicht zulässig ist.

Das Land Südtirol hätte die Möglichkeit, dieses Verbot auszudehnen – für ein bleifreies Südtirol. Art. 9-bis des Landesgesetzes Nr. 14 aus dem Jahr 1987 ermöglicht dies. Der Artikel sieht vor, dass „die Verwendung von Bleischroten“ in Feuchtgebieten, die Teil der Zonen des europäischen Schutzgebietsnetzes sind (Schutzgebiete im Sinne der Vogelschutzrichtlinie und besondere Schutzgebiete), „[…] verboten“ ist. Zudem fügt der Artikel hinzu, dass der zuständige Landesrat „weitere Einschränkungen oder Verbote bezüglich der Jagdmittel und -zeiten verfügen“ kann.

Das Land hat also die Möglichkeit, das Verbot von Bleischrot auf andere Landesgebiete auszuweiten, indem es auf die Besonderheiten des alpinen Lebensraums und den Schutz der darin lebenden Arten pocht. Südtirol könnte so eine Vorreiterrolle im Schutz der Fauna übernehmen.

Aus diesen Gründen verpflichtet der Südtiroler Landtag die Landesregierung,

aufgrund der ihr gemäß Art. 9-bis des Landesgesetzes Nr. 14 aus dem Jahr 1987 übertragenen Befugnisse das Verbot des Einsatzes von Bleischrot im gesamten Gebiet des Landes Südtirol zu verfügen.

15.06.2022

Landtagsabgeordnete
Riccardo Dello Sbarba
Brigitte Foppa
Hanspeter Staffler

 

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