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LGE Nr. 151/18 „Raum und Landschaft”

Es war einmal…„Raum und Landschaft“

Neues Raumordnungsgesetz – die Gründe für die Ablehnung

Nachdem das neue Raumordnungsgesetz (LGE Nr. 151/18 „Raum und Landschaft“) in einer neuntätigen Marathonsitzung im Gesetzgebungsausschuss behandelt wurde, steht in dieser Woche die Diskussion im Landtagsplenum an. Riccardo Dello Sbarba hat in seinem Minderheitenbericht den langen Gesetzgebungsprozess und die inhaltlichen Knackpunkte des Gesetzentwurfs nachgezeichnet. Fazit: „Der Text der derzeitigen Gesetzesnovelle ist keineswegs besser als jener des alten Gesetzes, im Gegenteil! In gewisser Hinsicht ist dieser sogar schlechter.“Nachfolgend führen wir die wichtigsten Schwachstellen in den Bereichen Umwelt, Landschaft, Soziales und Gesetzgebungsverfahren samt einiger unserer Verbesserungsvorschläge auf:

Erste Schwachstelle: Die Umwelt in den Händen der Lobbys

Die Landschaft ist mit diesem Gesetz die große Verliererin. Das Landesgesetz aus dem Jahr 1970 schützt mit 34 Artikeln die Landschaft wesentlich besser als dieser Gesetzentwurf, in dem nur sieben Artikel speziell dem Landschaftsschutz gewidmet sind. Die Landschaft ist den Launen der Lobbys hilflos ausgeliefert. Außerdem gibt es laut den Anlagen zum Gesetz weit mehr Eingriffe, die keiner landschaftsrechtlichen Genehmigung bedürfen, als im staatlichen Gesetz vorgesehen sind.
Dasselbe gilt für den Bodenverbrauch: Unzählige Zugeständnisse und Ausnahmeregelungen lassen für noch mehr Bodenverbrauch in- und vor allem außerhalb des Siedlungsgebietes, im landwirtschaftlichen und alpinen Grün zahlreiche Hintertüren offen – dabei war es das erklärte Ziel des Gesetzes gewesen, unberührten Grund und Boden zu schützen.
Mit unseren Anträgen werden wir im Landtagsplenum versuchen, die Landschaft zu verteidigen, der Zersiedelung Einhalt zu gebieten sowie Boden und Grün zu schützen.

Wir schlagen u.a. vor, dass:

  • Panoramalandschaften und äußere Schutzzonen von Naturschutzgebieten weiterhin unter Schutz bleiben (dies wurde vom Ausschuss abgeschafft);
  • eine verpflichtende Obergrenze des Bodenverbrauchs (Nullsaldo bis 2050) eingeführt wird;
  • die „freien“ Eingriffe an der Landschaft eingeschränkt werden;
  • die zahlreichen Ausnahmeregelungen aufgehoben werden.

Zur Wiedereinführung der besonderen Berücksichtigung Bozens als Landeshauptstadt haben wir sofort nach deren Streichung im Ausschuss Abänderungsanträge eingereicht.

Zweite Schwachstelle: Ein Gesetz, das soziale Ungerechtigkeit schafft

Die Bodennutzung hat unmittelbare soziale Folgen: Wer Immobilien besitzt und sie nutzen, erweitern oder für rentablere Zwecke umwidmen darf (Wald zu landwirtschaftlichem Grün, landwirtschaftliches Grün zu Baugrund), kann damit große Profite erzielen. Wer weder Haus noch Grund besitzt, verarmt. Vom Raumordnungsgesetz hängt also auch ab, ob Südtirol in Zukunft gerechter oder ungerechter sein wird.
Die Arbeiten im Ausschuss wurden von einer einzigen Gruppierung, den BauernvertreterInnen, beherrscht. Während der langen Phase der Gesetzesentstehung war es bereits der Wirtschaftslobby, insbesondere den Tourismustreibenden und der Industrie gelungen, ihren Interessen in den Entwurf einfließen zu lassen. Was ein Gesetz der Bürgerinnen und Bürger, der Fachleute und Sachverständigen hätte werden sollen, wurde zum Gesetz der Lobbys. 
Leistbares Wohnen bleibt ein frommer Wunsch. Die Situation wird sich sogar verschlechtern, weil künftig für den geförderten Wohnbau weniger Raum zur Verfügung stehen wird, weil die Einhebung des berühmten „Planungsmehrwertes“ auf ein Minimum reduziert wurde (bei grundsätzlicher Befreiung der Wirtschaftsbranche) und der Artikel zu den preisgebundenen Wohnungen eine leere Hülle bleibt.

Dritte Schwachstelle: Keine Partizipation

Die Beteiligung der gesamten Bevölkerung und nicht nur der Interessensgruppen gehört zu den Grundpfeilern einer zeitgemäßen Raumordnung. Doch der vorliegende Gesetzentwurf verleiht den Interessensgruppen, InvestorInnen und EigentümerInnen noch mehr Macht. Im Ausschuss wurden einige unserer Änderungsanträge für mehr Transparenz und Information angenommen, aber viele Artikel wurden deutlich verschlechtert. So wurden etwa die Verbände für Umwelt und Landschaftsschutz aus dem Verfahren zur Erarbeitung der Landschaftspläne ausgeschlossen. Den BürgermeisterInnen und Gemeindeausschüssen wurden hingegen mehr Entscheidungsmacht verliehen – zu Ungunsten der Gemeinderäte.
Wir werden uns in der Landtagsdiskussion für die Ausweitung der Beteiligungsprozesse einsetzen und uns für Leitlinien der Beteiligung in den Raumordnungsverfahren starkmachen.

Vierte Schwachstelle: Die Rechtsunsicherheit bleibt

Das Versprechen, die notwendigen 23 Durchführungsbestimmungen gleichzeitig mit der Vorlage des Gesetzentwurfes vorzulegen, wurde nicht eingehalten. Folglich wird dem Landtag die gesetzgebende Funktion entzogen und niemand kann zu diesem Zeitpunkt sagen, wie sich die Gesetzesbestimmungen, über die wir abstimmen müssen, auswirken werden. Außerdem hat der Text zahlreiche Änderungen erfahren (163 allein durch die Anträge der Mehrheit im Ausschuss), sodass sich im neu formulierten Gesetzestext jede Menge Widersprüche und Ausnahmen finden. Dadurch wird dieses Gesetz auch in Zukunft einen großen Spielraum für Auslegungsmöglichkeiten bieten und daher nicht endende Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf bringt keine Klarheit im undurchsichtigen Raumunordnungsdschungel. 
Ein so heikles Gesetz, das die öffentlichen und privaten Interessen nachhaltig beeinflusst, beachtliche Vor- und Nachteile festschreibt sowie in seiner jetzigen Version aus ökologische und sozialer Sicht Verschlechterungen bereithält, sollte nicht unter dem Druck der anstehenden Landtagswahlen beschlossen werden. Unter diesen undurchsichtigen Gesetzesbedingungen werden all jene, die die nötigen Mittel dazu haben, die Übergangszeit für Spekulationen, Baumaßnahmen und Zweckbestimmungsänderungen nutzen, um vollendete Tatsachen zu schaffen.

Wir fragen uns, ob es sich unter diesen Voraussetzungen lohnt, jetzt ein Gesetz zu beschließen, das erst in ferner Zukunft in Kraft treten wird. Es gäbe die Zeit, ein besseres auszuarbeiten, direkt mit dem Beginn der nächsten Legislaturperiode – mit den Wahlen hinter und nicht direkt vor uns. Das Material für ein besseres Gesetz haben wir ja schon durch die seit vier Jahren andauernde Debatte zum Gesetzentwurf. Wir sollten die zahlreichen Vorschläge der Verbände und der BürgerInnen wieder aufnehmen sowie dabei unser Augenmerk auf das Gemeinwohl, auf den Landschafts- und den Naturschutz sowie auf die Eindämmung des Bodenverbrauchs legen.

Als Grüne Fraktion haben wir mehr als 200 Abänderungsanträge für die Landtagsdebatte vorbereitet. Sollte sich das Gesetz in seinen wesentlichen kritischen Bestandteilen nicht ändern, werden wir dagegen stimmen.

 

Landtagsabgeordnete

Riccardo Dello Sbarba
Brigitte Foppa
Hans Heiss

 

Bozen, 22. Mai 2018


Gefährdete Landschaft – Geschützte Lobby-Interessen
6 Kritikpunkte zum neuen Landesgesetz für Raum und Landschaft
In seiner Rede zum Landeshaushalt 2018 hat LH Kompatscher unverblümt gesagt, wozu der von der Landesregierung heute genehmigte Gesetzentwurf zu Raum und Landschaft dienen soll, nämlich 1. Entbürokratisierung, 2. Bürgernähe, 3. Vereinfachung der Verfahren, 4. Rechtssicherheit und 5. Planbarkeit.
Das ist ein klares Plädoyer für Liberalisierung: Wer sich hingegen Ziele wie: 1. Schutz des Bodens, 2. Eindämmung der Zersiedelung, 3. Raum als Ressource, 4. Schutz des Gemeinwohls, 5. Transparenz vorgestellt hatte, wird enttäuscht.
Wir gestehen LR Theiner zwar die gute Absicht zu, mit diesem Gesetz ein bleibendes Vermächtnis seiner Amtszeit zu hinterlassen, müssen jedoch aus mehrfacher Sicht Kritik vorbringen:

  1. Das neue Raumordnungsgesetz, ein Mitbestimmungsfake?

Wir teilen die Kritik der Umweltvereine, die die Entstehungsweise des Gesetzentwurfs beanstandet hatten. Die Genese war leider kein Beispiel für gelingende Partizipation, sondern weit mehr für gelingendes Lobbying. Partizipationsprozesse dürfen nicht in Verwirrung und verschleiernd enden, sondern müssen allen, wirklich allen Beteiligten die Möglichkeit geben, sich auch im Ergebnis wiederzufinden.

  1. Bodenverbrauch wird nicht verringert werden

Umweltvereine, aber auch der neue Abteilungsdirektor Frank Weber haben darauf hingewiesen, dass das neue Gesetz zu einer Steigerung des Bodenverbrauchs führen wird, entgegen der Versprechungen der Landesregierung. Denn Maßnahmen wie Versiegelung, Erschließung und Bebauung für die landwirtschaftliche Produktion sollen nicht als Bodenverbrauch gelten, Flächenverbrauch soll aus wirtschaftlichen Gründen – d.h. also immer – erlaubt sein: Die Aussage „Bodenverbrauch außerhalb des Siedlungsgebietes darf nur dann zugelassen werden, wenn er notwendig ist und es dazu keine wirtschaftlich und ökologisch vernünftigen Alternativen durch Wiederverwendung, Wiedergewinnung, Anpassung oder Vervollständigung bestehender Siedlungen gibt […]“(Art. 17) zieht sich unverändert durch die diversen Versionen des Entwurfs. Hier wird also mit dem Grundsatz zugleich die generelle Ausnahmebestimmung festgeschrieben und Letztere dadurch regelrecht zementiert.

  1. Natur- und Landschaftsschutz kommen zu kurz

Bei der Lektüre der diversen Entwurfsstadien fällt auf, dass der Bereich Natur und Ökologie kaum Niederschlag im Gesetz findet, einzig das Thema Landschaft wird behandelt; allerdings scheint es so, als habe die Landschaft immer wieder das Nachsehen hinter Wirtschafts- und Landwirtschaftsinteressen. Bereits im Vorfeld war die Sinnhaftigkeit der Verlegung des Landschaftsschutzes in das Raumordnungsgesetz mehrfach angezweifelt worden. Denn obwohl der Landschaftsschutz Verfassungsrang genießt, wird er hier zu einem Unterkapitel des Raumordungsgesetzes degradiert.
Auffallend sind die progressive Verstümmelung und Verkümmerung des Landschaftskonzeptes, es beinhaltet weder das Konzept von Biodiversität und ökologischer Vernetzung, noch die Instrumente und Grundsätze des Landschaftsschutzes. Außerdem gälte es nicht nur Gebiete von herausragender landschaftlicher Bedeutung zu schützen, sondern auch gewöhnliche und beeinträchtigte Landschaften.

  1.  Wie ist das nun mit dem Wertausgleich?

Wichtigste Maßnahme für den „sorgsamen Umgang mit Grund und Boden“ ist das Konzept des Wertausgleichs. Damit soll der Spekulation ein Riegel vorgeschoben werden.
Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs im Südtiroler Landtag wurde unterstrichen, dass der Wertausgleich nicht für Gewerbegebiete und für Sondernutzungsgebiete für touristische Zwecke vorgesehen ist. Auf unsere Nachfrage hin wurde dies bestätigt, unter Verweis auf den „Druck“, der bereits jetzt auf „der Wirtschaft laste“. Es ist absolut widersprüchlich, den Wertausgleich für das primäre Recht „Wohnen der BürgerInnen“ vorzusehen und die Betriebe davon auszunehmen. Zuletzt war außerdem immer wieder davon die Rede, dass das Konzept des Wertausgleich an sich nun in Frage gestellt wurde, da insbesondere Unternehmerseite scharfe Kritik daran äußerte. Wir wissen noch nicht, wie sich der endgültig genehmigte Entwurf hierzu positioniert, vor dem weiteren Verwässern dieses Prinzips warnen wir ausdrücklich.

  1. Die kuriosen Ausnahmen

Die letzten Versionen des neuen Entwurfs zum Gesetz für Raum und Landschaft enthalten auch einige eigenartige Ausnahmen für Sonderfälle. Wir haben hierzu in Landtagsanfragen nachgehakt, um herauszufinden, worum es im Einzelnen geht (Antworten noch ausständig).
Beispiele dafür sind die Sonderregelung für Gewerbegebiete (Art. 26): „Für Gewerbegebiete müssen Durchführungspläne erstellt werden. Dies gilt nicht für die Erweiterung bestehender Gewerbegebiete, die keiner zusätzlichen Flächen für Erschließungsanlagen bedürfen und für die Gebiete, die für die Ansiedlung eines einzigen Unternehmens bestimmt sind oder in denen mindestens 75% der Flächen verbaut sind.“ oder jene in Art. 29: „Für Einzelhandelstätigkeiten gelten die Begrenzungen laut Artikel 32, Absatz 3, wenn das betroffene Gebiet vormals Gewerbegebiet war. Ausgenommen sind an Mischgebiete angrenzenden Gebiete urbanistischer Neugestaltung in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern.“

  1. Achtung vor den Sondernutzungsgebieten zu touristischen Zwecken

Die neuen „Sondernutzungsgebiete“ sind von der Gesamtregelung der Siedlungsgebiete ausgenommen. Gewiss hat man Verständnis für bestimmte Anlagen, die natürlicherweise außerhalb der Siedlungsgrenze lägen, etwa Schotterwerke oder E-Werke. Weniger einleuchtend ist hingegen die Einordnung von Tourismusbetrieben in dieselbe Kategorie wie Schotter- und E-Werke. Hier wird große Aufmerksamkeit geboten sein.
Der neue Gesetzentwurf zur Raumordnung ist ein Zwitter: Begrüßenswerten Grundsätzen wie Einschränkung des Bodenverbrauchs, Einführung einer Siedlungsgrenze und mehr Fachkompetenz in den Gremien stehen sorgsam konstruierte Ausnahmen entgegen, die von der Feinarbeit der Lobbies künden. Deren Mitwirkung am Gesetzesentwurf ist jene Partizipation in Südtirol, die wirklich funktioniert. Die Grünen werden sich bemühen, im Landtag jene öffentliche Auseinandersetzung zu führen, die dieses zentrale Gesetz wirklich bedarf.

Bozen, 28.12.2017

Brigitte Foppa, Hans Heiss, Riccardo Dello Sbarba