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Nichts ist so fein gesponnen

Rede  von Hanspeter Staffler zum Haushalt 2023-2025.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

Es ist auch dieses Jahr verstörend, die Haushaltsrede des LH mit den effektiven Zahlen des Haushaltes zu vergleichen. Die Rede ist auf Ausgleich, soziales Engagement und Nachhaltigkeit ausgelegt, die Zahlen zeugen von Wirtschaftslastigkeit, krasse Unterfinanzierung des Sozialen und wenig Geld für die Energie-, Mobilitäts- und Ökowende. Kurzum ein Haushalt der zwei Gesichter, ein bisschen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Wie jedes Jahr wissen wir, dass die eigentlichen politischen Akzente erst kommen werden. Heute, wo der mediale Fokus auf den Landeshaushalt 2023 gerichtet ist, ist dieser weder Fisch noch Fleisch. Im Lauf des kommenden Jahres werden aber Haushaltsänderungen und Nachtragshaushalt unterfinanzierte Bereiche ausgleichen (einerseits) und Infrastrukturprojekte finanzieren (andrerseits).

Es bahnt sich auch immer deutlicher ein Schattenhaushalt an, also Geldmittel, die der direkten Kontrolle des Landtages entzogen werden. Über 150 Millionen Euro Olympiagelder fließen in den Ausbau der Pustertaler Straße, diese Landeregierung baut fleißig an einer neuen Transitroute.

Über 600 Millionen Euro PNRR-Gelder gehen in den Hochbau.

Drei Themenbereiche liegen mir heute besonders am Herzen, die ich mit „Anders wirtschaften“, „Gemeinwohl im Fokus“ und „Mut für Erneuerung“ titulieren möchte.

Anders wirtschaften und das Konzept der Nachhaltigkeit

Ein ganzes Jahr Nachhaltigkeitstour hinterlässt einen schalen Nachgeschmack: es wurden die 17 SDGs so von Ihnen beworben, als ob sie für Südtirol konzipiert worden wären, dabei sind sie für Inter- und supranationale Vergleiche entwickelt worden. Marketing! Es wird gebetsmühlenartig darauf hingewiesen, dass Nachhaltigkeit immer drei Aspekte beinhalte, nämlich den ökologischen, sozialenund wirtschaftlichen Aspekt. Nachhaltigkeit müsse immer in diesem Dreiklang gedacht werden.

Das klingt gut, wurde aber in der Anwendung auf Südtirol falsch verwendet oder nicht zu Ende gedacht: Das Konzept der Nachhaltigkeit basiert auf dem zitierten Dreiklang und auch auf dem Gesetz des Minimums. Dieses Gesetz besagt, dass Nachhaltigkeit nur so gut sein kann, wie das schwächste Glied in der Kette. Es nützt also gar nichts, wenn das Wirtschaftsglied (in der Nachhaltigkeitskette) aus gehärtetem Stahl, das Sozialglied aus Hanfseilen und das Ökologische Glied aus Pappmaché ist. Bei der leichtesten Beanspruchung reißt die Nachhaltigkeitskette, weil das Ökologische Glied im Vergleich zu den anderen Gliedern aus Papier besteht.

Unter dem Deckmantel der 17 SDGs und des nachhaltigen Dreiklanges wurde und wird mit Steuergeldern das Wirtschaftsglied massiv gestärkt, das Sozialglied mehr schlecht als recht verwaltet und das Ökologische Glied vernachlässigt. Das Nachhaltigkeits-Gesamtergebnis ist demnach – im Sinne des Gesetzes des Minimus – bisher ungenügend. Das ist die erste Verantwortung der Landesregierung Kompatscher, es wird viel über Nachhaltigkeit kommuniziet aber wenig getan, viel Marketing, wenig Inhalte.

Die zweite Verantwortung ist ebenso schädlich für die Sache. Haben Sie sich Herr LH Kompatscher oder Ihre Marketingabteilung jemals Gedanken über die Verantwortung gemacht, was sie mit der Nachhaltigkeitstour ohne Inhalte anrichten können? Greenwashing ist der allgemeine Begriff dafür, wenn politische Ankündigung und politisches Handeln sich nicht decken wollen.

Aber noch gravierender ist meiner Meinung nach die Beschwichtigungs- oder „Einlullungstaktik“. Mit den perfekt inszenierten Nachhaltigkeit-Shows wird das Publikum (also die Bürger:innen) im Glauben gelassen, dass sich der LH eh um die ungemütlichen Themen der Energie-, Klima- und Naturkrisen kümmern werde. Man sei also irgendwie auf Schiene.

Aber „an den Früchten werdet ihr sie erkennen“, wobei die Früchte das realpolitische Handeln sind, welches Akzente setzt wie Straßen- und Seilbahnbau, Erweiterung von Schigebieten, Bau von Beschneiungsbecken, Projekte wie die Erlebnisstraße Stilfserjoch, Industrieprojekte auf der grünen Wiese wie in Siebeneich (Alpitronic) oder den Abbruch von intakter Bausubstanz wie im Falle der Schlanderser Kasernen.

Die politische Botschaft ist eindeutig:

  • Mehr Straßen, mehr Verkehr
  • Mehr Seilbahnen, mehr Tourismus

Die psychologischen Effekte sind fatal:

  • Ach so, sagt die Seilbahnwirtschaft, wenn wir gewusst hätten, dass Südtirols Nachhaltigkeit auch weiterhin den Seilbahnbau forciert, wären wir schon viel früher nachhaltig geworden;
  • Ach so, sagt die Immobilienwirtschaft, wenn wir gewusst hätten, dass Südtirols Nachhaltigkeit auch weiterhin industrielle Ansiedlungen auf landwirtschaftlichen Bioflächen forciert, wären wir schon viel früher nachhaltig geworden.

Die Menschen glauben Ihnen Herr Kompatscher, sie glauben, dass Sie sich tatkräftig um die Probleme unserer Zeit kümmern, um die Energiewende, um die Ökowende, um die Mobilitätswende. Aber Sie machen durch ihr operatives Handeln die Menschen auch glauben, dass ressourcenfressende Wachstumsprojekte Teil Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie sind (viele wollen dies auch glauben). Hatten Sie nie den Gedanken oder das Gefühl, dass Ihre inszenierte Nachhaltigkeitspolitik ein großes Täuschungsmanöver ist?

Dabei wäre anders wirtschaften angesagt:

  • Keine zusätzlichen strom- und wasserfressenden Beschneiungsbecken, sondern Natur schonende Weideprojekte;
  • Keine neuen Straßenprojekte sondern Vorfinanzierung der notwendigen Bahninfrastrukturen;

Gemeinwohl im Fokus – Resilienz

Wenn der Präsident des Unternehmerverbandes in regelmäßigen Abständen gegen die öffentliche Verwaltung wettert und Bürokratieabbau oder mehr Effizienz einfordert, dann herrscht großes Schweigen im Palais Widmann. Niemand verteidigt die öffentliche Verwaltung, niemand verteidigt die öffentliche Sache, niemand verteidigt das Gemeinwohl.

Wenn die Privatwirtschaft Bürokratieabbau einfordert, meint sie Privatisierung öffentlicher Dienste. Was das für eine tolle Idee ist, haben wir ja in Coronazeiten gesehen: Länder mit einer guten öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur haben es gut gemacht, Länder mit einer guten Verwaltung sind resilienter.

Das „goldene Kalb“ Effizienzkonzept hat ausgedient, was es heutzutage braucht, ist Resilienz. Resilienz als dynamische Widerstandsfähigkeit gegen die multiplen Krisen, effiziente Betriebe und Gesellschaften sind auf Kante genäht, beim leichtesten Gegenwind knicken sie ein.

Oder kaum hatte unsere reiche Tourismusbranche eine Krise, musste die öffentlichen Verwaltung „über Nacht“ hunderte Millionen an Krisengeldern verteilen. Wenn die Geschäfte laufen, werden die Gewinne privatisiert, wenn es kriselt, müssen Steuergelder und öffentliche Verwaltung einspringen.

Was aber diese Landesregierung mit der Verwaltung und eigenen Personal vorhat, bleibt ein Rätsel. Sie vermitteln den Eindruck, dass sie die Verwaltung noch effizienter machen wollen, dass sie den Mitarbeitenden noch mehr abverlangen wollen. Das sind alte Betriebskonzepte, die schleunigst in die Mottenkiste gehören.

Über 15 Prozent Reallohnverlust seit 2013, das ist bei unseren prächtigen Landeshaushalten zynisch. Ich weiß, es gibt Kompetenzstreitigkeiten mit Rom aber die gab es auch bei der Jagdausübung. Dort haben Sie eine Durchführungsbestimmung auf den Weg gebracht, bei den öffentlich Bediensteten noch nicht. Das sagt viel über die Prioritäten dieser Landesregierung aus.

Ganz hart trifft es die Pflegekräfte und die Lehrer:innen der Grund- , Mittel- und Oberschulen. Beide Berufsstände steuern auf eine gewaltige Krise zu, seit Jahren müsste diese Landesregierung gegensteuern. Und das wissen sie auch! Aber bisher wurde viel zu wenig unternommen. Sie gefährden mit ihrer Sparpolitik (Effizienzpolitik) bei den Mitarbeitenden die soziale Gerechtigkeit, sie setzen bewährte Gesellschaftsverträge aufs Spiel.

Erneuerung der Gesellschaftsverträge – vom Wachstum zum Wohlstand

Gesellschaftsvertrag Kollektivvertragsverhandlungen

Diese Landesregierung hat die sieben fetten Jahre zwischen 2013 und 2019 verstreichen lassen, um die öffentliche Sache zu stärken und die öffentlich Bediensteten gut zu bezahlen. Unsere Verwaltung leistet in den Gemeinden und beim Land Außerordentliches, die Verwaltung kümmert sich um das Gemeinwohl, die Verwaltung schaut mit Argusaugen auf unsere Autonomie und verteidigt sie bei Angriffen aus Rom. Dafür gehören die Menschen der öffentlichen Dienste mit fairen Löhnen und Gehältern bezahlt.

Bildungsoffensive 2030

Das Unwohlsein bei den Lehrer:innen ist nicht mehr zu verheimlichen: der Frust ist groß, die Bezahlung ist unwürdig, die Attraktivität der Bildungsberufe wird von Anwärter:innen immer häufiger in Frage gestellt, Herausforderungen und Komplexität an den Schulen nehmen zu. Selbst bei uns melden sich angehende Lehrer:innen und wollen wissen, ob sie die attraktiveren Angebot in Österreich annehmen sollen? Von der Schweiz gar nicht zu reden. Unsere deutschsprachigen jungen Leute sind im Ausland sehr gefragt.

Es bräuchte daher dringend eine Bildungsoffensive, mit viel besserer Bezahlung, mit Begleitungsprogrammen für die Lehrer:innen, mit kreativer Autonomie für die Schuldirektionen, mit finanzieller Aufwertung des unterstützenden Schulpersonals. Eine Mrd. Euro sind viel Geld, aber angesichts der Herausforderungen, die auf die Schulwelt einstürzen, viel zu wenig.

Pflegeoffensive, Wohnungs- und Mobilitätsoffensive

Ähnliche Überlegungen gelten auch für das Pflegepersonal, die Pflegekrise ist da und wird immer schlimmer, wenn nicht sofort eine Pflegeoffensive gestartet wird. Die Österreichische Bundesregierung hat es bereits vorgemacht, die Pflegereform wurde zeitlich vorgezogen, Österreich eilt uns davon und wahrscheinlich auch mit einem Teil unserer Südtiroler Mitarbeiter:innen.

Wohnungs- und Mobilitätskrise möchte ich nur als Schlagworte nennen, auch hier gibt es nichts neues unter der Sonne zu berichten. Der öffentliche Wohnungsbau für die Mittelschicht kommt nicht in die Gänge, der Individualverkehr nimmt laufend zu. Hierzu hat diese Regierung keine nennenswerten Fortschritte vorzuweisen, ohne ambitionierte Wohnbauprogramme und ohne Reduzierung der Tourismuswerbung oder einem echten Bettenstopp wird es nicht gehen.

Die Naturkrise als Spiegel Südtirols Politik – Wegschauen anstatt erneuern

Die Weltgemeinschaft spricht in zurzeit in Kanada vom sechsten Artensterben, Südtirol baut Seilbahnen und rodet Wälder für Pisten. Der Weltbiodiversitätsbericht befürchtet den Verlust von einer Million Arten, Südtirol diskutiert über den bösen Wolf. Die EU möchte 30 Prozent des Territoriums unter Naturschutz stellen, Südtirol diskutiert die Güllewirtschaft in Natura 2000 Gebieten.

Das Artensterben ist eine schleichende Krise, die von der Bevölkerung kaum wahrgenommen wird. Wissenschaftler:innen und Künstler:innen hingegen schlagen Alarm und beknien alle Regierungen, endlich etwas zu unternehmen. Wenn gewartet wird, bis die Bevölkerung, die Landwirte, die Tourismustreibenden, die Seilbahnwirtschaft, die Immobilienwirtschaft, die Bauwirtschaft das Artensterben als existentielle Krise anerkennen, ist es zu spät. Viel zu spät! („Man müsse alle mitnehmen.“)

Hier müsste sich die Landesregierung diese Krise zu eigen machen und handeln. Ja, dies mag in Südtirol unpopulär sein, aber es gibt keine Alternative dazu. Es bräuchte bei uns mutige Politker:innen, die mit den Möglichkeiten eines der reichsten Länder weit und breit, die Ökowende in die Hand nehmen. Und dafür braucht es kein zusätzliches Monitoring der EURAC, womit nur auf Zeit gespielt wird, keine fadenscheinigen Nachhaltigkeitskonzepte der Landwirtschaft, wo es zum wiederholten Male um Vertuschung geht. Dafür braucht es einen offenen Geist, die Bereitschaft das vorhandene Wissen anzunehmen und die längst bekannten Maßnahmen in die Wege zu leiten:

  • Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft im Obst- und Weinbau;
  • Schluss mit der Erschließung der alpinen Regionen durch Straßen, Seilbahnen, Schutzhäuser und Hotels;

Zum Schluss „kommt alles an die Sonnen“

Ich knüpfe an, an die eingangs gemachte Beobachtung, dass es sich um einen Haushalt der zwei Gesichter handeln würde, wofür Sie Herr LH verantwortlich sind. Aber diese  Ambivalenz setzt sich in der SVP fort,  eine Partei mit zwei Gesichtern. Wir sind auch ein Land mit zwei Gesichtern, nach außen Tourismusweltmeister, nach innen Gehalts-Sparmeister, wir haben eine Medienlandschaft der zwei Gesichter.

Diese Ambivalenz erzeugt eine Glaubwürdigkeitskrise (als ob es nicht schon genug Krisen gebe) , die sich vom LH über die Landeregierung bis in den Landtag zieht.

Die Ambivalenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Ankündigung und Umsetzung, zwischen Landesregierung und Landtag (Haushalt) zieht immer weiter ihre schädlichen Kreise. Es fühlt sich krank an.

Ambivalenz verunsichert die Menschen, dabei sollten gerade politische Institutionen Sicherheit geben, sie sollten inkludieren und nicht spalten. Politische Spaltpilze sind am Werk in Ihrer Partei, in der Landesregierung und im Landtag. Sie sind bei diesen Prozessen immer mittendrin und natürlich tragen Sie als Spitze der Politik die Hauptverantwortung dafür.

Somit ist dieser Haushalt der zwei Gesichter auch Spiegelbild Ihrer Politik der zwei Gesichter. Diese ständige Ambivalenz tut nicht gut, weder Ihnen,  noch der Landesregierung, noch dem gesamten Politikbetrieb und schon gar nicht unserer Gesellschaft.

So wie die betriebswirtschaftliche Effizienz durch Resilienz abgelöst werden wird,

So sollte die politische Ambivalenz durch politische Verlässlichkeit abgelöst werden. Das ist mein Anspruch und mein politischer Wunsch!

Bozen, 14.12.2022

Author: Serena

Kommunikationsbeauftragte der Grüne Fraktion.

Eine verzagte Gesell
Anders ist mehr!
2 COMMENTS
  • Sebastian Felderer / 14. Dezember 2022

    Bravo Hanspeter. Hast ein gutes Bild gezeichnet von den Widersprüchen unserer Landesregierung, die wohl nicht mehr ist als Schein, Lächeln, Schönreden und Verlogenheit. De Wahrheit liegt im Kern der SVP, die nur mit sich selst beschäftigt ist.Vor diesem Hintergrund wäre es für euch fatal, eine Koalition mit der SVP ins Auge zu fassen. Das wäre wohl der Untergang der Grünen Bewegung. Habt den Mut und sucht Mehrheiten ausserhalb der SVP!!!!!

  • Hanspeter Staffler / 15. Dezember 2022

    Danke Sebastian für deine Rückmeldung. Der Anspruch ist, unsere Werte und Kompetenzen so gut es geht für das Land einzubringen. Dafür müssen wir nächstes Jahr stark abschneiden und dann Mehrheiten suchen. Ob im Jahr 2023 dies ohne SVP gehen wird, ist schwer vorstellbar. Aber ein Jahr ist in der Politik eine halbe Ewigkeit, es kann noch so viel passieren.

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