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Die Ent-Täuschung.

Rede von Brigitte Foppa zur Wahl von Landehauptmann Arno Kompatscher am 18.01.2024

 

Arno Kompatscher, Sie schicken sich an, zum dritten und letzten Mal Landeshauptmann von Südtirol zu werden.

Sie haben Ihre Regierungserklärung eingereicht. Diese wurde von Magdalena Amhof, Anna Scarafoni, Christian Bianchi, Angelo Gennaccaro und Ulli Mair unterschrieben.

Damit haben Sie festgelegt, mit wem zusammen Sie unser Land in den nächsten Jahren führen wollen.

Sie haben somit wichtige Weichen gestellt. Sie, Arno Kompatscher, machen es möglich, dass eine Partei wie Fratelli d’Italia Regierungsverantwortung in Südtirol übernimmt.

Sie haben das bewusst gewählt.

Sie haben das bewusst so entschieden.

So wie Sie sich vor 5 Jahren für die Lega-Salvini entschieden haben. Salvini, das war der mit den brutalen Machosprüchen, jener, der die Menschen im Mittelmeer versenken wollte. Es hat sich damals Protest geregt. Es gab eine Petition, die von vielen Menschen unterschrieben wurde.

Diesmal aber gehen Menschen auf die Straße. Sie protestieren gegen Faschismus, Postfaschismus, Neofaschismus, vielleicht auch Präfaschismus. Ich glaube, dass ein großer Teil dieser Menschen beseelt ist davon, nicht geschwiegen werden zu haben, im Moment dieser Richtungsentscheidung.

Es gibt Momente in der Geschichte, in denen man etwas gesagt haben muss. Dies ist ein solcher Moment.

Dabei waren Sie, Arno Kompatscher, vor zehn Jahren angetreten, um eine Zeitenwende herbeizuführen. Es sollte demokratischer werden in Südtirol, partizipativer. Und auch, ja, progressiver.

Diesen Ansatz haben viele Menschen in Südtirol an Ihnen geschätzt.  Auch ich. Ich bin Ihnen bis heute dankbar, dass Sie endlich den Widerstandskämpfer:innen im Lande gedankt und sie damit rehabilitiert haben. Das ist für mich Ihre wichtigste Leistung für unser Land.

Sie hätten auf dieser Linie weitermachen können. Es hätte genug zu modernisieren und überwinden gegeben.

Die Überwindung der Trennung der Sprachgruppen in unserem Land wäre eine große Aufgabe gewesen. Ich habe Sie in den letzten 10 Jahren kaum einmal hierzu Stellung nehmen hören. Als unser verstorbener Kollege Renzler seine Justamentstandpunkte zum Deutschtum vorbrachte, haben Sie immer geschwiegen. Auf die verzweifelten Wünsche der Familien und die eindringlichen Appelle der Wirtschaft nach mehrsprachigen Klassenzügen gibt Ihr Regierungsprogramm eine klare Antwort: Nicht erstrebenswert.

Die Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund wäre eine ebenso große Aufgabe gewesen. Gerade angesichts der argumentativen Schieflagen und populistischen Verzerrungen auch und vor allem in diesem Saale, hätten Sie ein Machtwort sprechen können, mehr als einmal. Sie hätten den Wind bei uns drehen können. Aber Sie haben die Segel anders setzen wollen. Vorauseilend sind Sie zu Giorgia Meloni gelaufen und haben sich um ein Abschiebezentrum beworben. Und nun sprechen Sie in der Präambel zu Ihrem Regierungsprogramm von „unkontrollierter Einwanderung“, zumal in Verbindung mit dem „Sicherheitsempfinden“ im Lande. Dass Sie, Arno Kompatscher, sich in diesen Begrifflichkeiten bewegen, ist ein deutliches Signal dafür, dass Sie sich mit Ihrer Entscheidung für einer Rechtsregierung wohl fühlen. Sie wurde Ihnen nicht aufgedrückt. Sie haben sich dafür entschieden.

Auch die Modernisierung unserer Demokratie in Südtirol wäre eine reiche Agenda gewesen. Direkte Demokratie, Partizipation, Gleichstellung, Bürgerrechte, Anerkennung von Diversität – das wären Aufgaben einer progressiven Regierung gewesen. Sie zeigen sich da in Ihren Reden bei Bürgerversammlungen zwar immer sehr aufgeschlossen, aber wenn man genau hinschaut, sind viele Dinge anders. Sie haben sich mit Händen und Füßen gegen die direkte Demokratie gewehrt (auch wenn Sie die Drecksarbeit immer anderen überlassen haben). Sie haben den Gleichstellungsplan in der Landesregierung nicht beschlossen, sondern nur zur Kenntnis genommen. Sie haben sich mit Menschen zusammengetan, die Sensibilisierungsaktionen für die LGBT+-Thematik als „Propaganda di esibizionisti pedofili addescatori“ bezeichnet haben oder die gegen den Aushang der Regenbogenfahne sind, weil das „trennend“ wirke oder die sich geweigert haben, in ihrer Gemeinde dem Antihomophobienetzwerk Re.a.dy beizutreten.

Die weitaus größte, wichtigste und dringlichste Agenda hätten Sie, Arno Kompatscher, vom Klimawandel vorgegeben bekommen. Sie haben damit Werbung gemacht, Südtirol zu einem nachhaltigen Land entwickeln zu wollen. Man musste wohl einiges ausblenden (die vielen Zugeständnisse an die Tourismusindustrie, an den Pistenkilometerwettlauf, an die Erschließungsbestrebungen), aber hierzu haben Sie sich erfolgreich als Opfer der Lobbies dargestellt. Als einer, der „es anders und besser gewollt hätte, dem dies aber unmöglich gemacht wurde“. Sie haben damit um Stimmen geworben und viele haben es geglaubt. „Wenn er nur dürfte…“ hieß es oft, auch in unseren Kreisen.

Heute wissen wir: Sie haben das Land getäuscht. Dem Klima ist im Regierungsprogramm ebensowenig ein Kapitel gewidmet wie der Chancengerechtigkeit. Ihre beiden Pläne der letzten Legislaturperiode, jene, mit denen Sie in den Wahlkampf gegangen sind, sie sind gestrandet vor den Füßen der Rechtsparteien. Gestrandet, weil Ihre Koalitionspartner entweder den Klimawandel, die menschengemachte Erderwärmung, ganz leugnen, oder aber noch während des Schreibens am Programm von „Klimahysterie“ gesprochen haben.

Arno Kompatscher, Sie haben Südtirol ent-täuscht. Die Menschen haben das jetzt verstanden. Ihnen wird nichts aufgedrückt. Sie haben eine Entscheidung getroffen und diese ist gegen genau diese Agenda, die ich zu beschreiben versucht habe. Die Agenda des modernen, weltoffenen, solidarischen aufmerksamen und rücksichtsvollen Südtirols, das Sie krampfhaft in der Präambel beschwören, das aber von Ihrer Koalition und Ihrem Programm Lügen gestraft wird.

Angesichts der Kritiken, die Ihnen sicher sehr weh getan haben, haben Sie sich dazu verstiegen, sich als Garant gegenüber Ihren rechtsnationalen und rechtspopulistischen Partnern dazustellen.

Was für eine Selbstüberschätzung.

Und was für eine Abwertung Ihrer Partner! Ich stelle mir vor, wenn wir Grüne mit Ihnen koaliert hätten und jemand dagegen protestiert hätte und Sie gesagt hätten: Nein, keine Sorge! Wir sind zwar mit den Grünen an der Regierung, aber wir werden uns deshalb weiterhin klar für Zunahme des Verkehrs, Erweiterung des Flughafens, Diskriminierung der Schwächeren und gegen Frauenrechte aussprechen. Wer hätte Ihnen glauben können?

Ich wende mich da auch an die Freiheitlichen, die Fratelli d’Italia und die Lega, die mit einer eindeutigen (von uns nicht geteilten, aber jedenfalls offensichtlichen) Wertehaltung in diese Wahlen gegangen sind, und die alle eine Geschichte haben und ich frage sie: Wie könnt ihr das hinnehmen?

Habt ihr gesehen, wie die SVP mit den Partnern der letzten 5 Jahre umgegangen ist? Welche Geringschätzung und wieviel Fremdschämen über die LegaSalvini wir hier im Landtag gesehen haben? Colleghi della LegaSalvini, die Fratelli d’Italia, come potete accettare questa situazione? Avete visto come la SVP ha trattato i suoi „partners” negli ultimi cinque anni? Avete scordato quanta supponenza si notava qui in Consiglio, quante sopracciglia alzate, quante occhiatine di disprezzo, quando parlavano quei poveretti di assessori? L’atteggiamento della Volkspartei grondava egemonismo – verso gli assessori, ma anche verso il gruppo italiano. Questo atteggiamento si è notato anche durante queste trattative, quando “agli italiani” è stato detto: “vedetevela voi”. Chiedere a 3 partiti di dividersi 2 posti è un atto di colonialismo politico. Un segnale che ho trovato insopportabile e inaccettabile, e che serviva solo ed esclusivamente per far capire chi in questa terra ha il potere – non solo la Volkspartei, ma, si suggeriva, i tedeschi. Che brutta pagina è stata. La parte tedesca dentro di me si è vergognata. E la mia parte italiana si è sentita umiliata.

Dabei denke ich, dass Sie sich verkalkulieren, Arno Kompatscher. Denn es gibt eine Grundfrage, die zu stellen ist. Ich wurde in diesen Wochen oft gefragt, warum es vor 5 Jahren wesentlich ruhiger war, als die Lega an die Regierung genommen wurde und warum die Proteste gerade jetzt aufkommen. Denn die LegaSalvini war ja nicht wirklich viel weniger rechts als die Fratelli d’Italia. Es handelt sich bei den Fratelli d’Italia wohl um eine rechtsnationale Kraft, die zusätzlich zum übrigen rechten Gedankengut noch den Nationalismus als Mitgift einbringt – aber es regte sich nicht wirklich deswegen so starker Protest.

Es liegt also weniger an den Fratelli d’Italia, es liegt am Landeshauptmann, an Ihnen. Vor fünf Jahren hatten Sie tatsächlich noch als jener Garant durchgehen können, als der Sie sich heute darstellen. Man hat sich besänftigen lassen und sich auf Sie verlassen. Schließlich, so Ihre Erzählung, hatte man Ihnen die Regierung mit der LegaSalvini „aufgedrückt“.

Das Narrativ hat gehalten. Es war 5 Jahre lang so stark, dass man Sie diesmal „retten“ wollte. Als man dann verstand, dass Es Ihr ureigenster Plan war, mit den Fratelli d’Italia zu gehen, und dass dies ein lang vorbereiteter Plan war, dass der „Pakt mit dem Teufel“ das Projekt Arno Kompatscher war, da hat Südtirol den Glauben verloren. Dass Sie es nicht vorab gesagt haben, dass Sie das moderne Südtirol getäuscht haben, das wird man Ihnen nicht verzeihen.

Denn was Sie nun vorhaben – was auch immer. Das Koalitionsprogramm, das in einigen Punkten fast schon absurd präzise ist, ist im Hinblick auf den Pakt mit dem Teufel geradezu obszön vage – das ist nur um den Preis einer echten Rechtsregierung zu haben. Soviel ist klar.

Nun kann man viel diskutieren, was die „rechte Handschrift“ dieser Regierung ist. Wir haben sie insbesondere im Kontrollansatz geortet. Das Regierungsprogramm trieft vor Kontrollgremien und Kontrollaufgaben. Es wird einen Normenkontrollrat geben, der die Gesetze prüft. Es wird einen Medienbeirat geben, der genau aufpasst, ob die Medien „richtig“ berichten (diesen Wahnsinn haben Sie nun selber schon in Frage stellen müssen und auf die Schreiber:innen und Übersetzer:innen des Programms abgewälzt). Die Koalition wird sich sogar selbst kontrollieren (allerdings mit der bewährten Methode, über sich selbst zu Gericht zu sitzen. Wir kennen das bestens vom Familienbeirat, in dem die Familienlandesrätin sich selbst berät, oder vom Seniorenbeirat, in dem sich die Soziallandesrätin selbst berät). Im WOBI wird mehr kontrolliert werden, auf den Straßen sowieso. Ich möchte klären, dass auch wir für klare Regeln sind, und auch für die Überprüfung derselben. Aber die Grundlage ist eine freie und egalitäre Gesellschaft.

Die rechte Handschrift beschreibt und fördert eine andere Gesellschaft. Eine, in der es Unterschiede gibt. Die einen erhalten Beiträge, die anderen Voucher. Eine Gesellschaft, die trennt, beginnend bei den Sprachgruppen. Eine Gesellschaft, die belohnt und bestraft.

La società che descrive la destra è una società che sta in piedi per divisioni. Tra le persone distingue fra indigeni e immigrati. Fra maschi e femmine e sia mai che esiste altro. Fra chi si merita qualcosa e chi non si merita nulla.

Sie begeben sich in die Hände von Rechtspopulisten und Rechtsnationalisten, Arno Kompatscher. Sie haben für sich beschlossen, dass Ihr Autonomieprojekt das wert ist. Südtirol konnte sich dazu nicht äußern, die Entscheidung haben Sie allein getroffen und ohne abzufragen, ob die Menschen in diesem Land das wollen. Sie sind davon ausgegangen, dass Sie (Sie allein) wissen, was für uns alle am wichtigsten ist.

Es ist eine unvorstellbare Anmaßung.

Es ist unvorstellbar vermessen.

Man sagt, es gehe Ihnen darum, sich einen Platz im Geschichtsbuch zu sichern. Das wird auch passieren. Sie werden in die Geschichte eingehen. Vielleicht als jener Mann, der (mit Giorgia Meloni und Roberto Calderoli) die Autonomie Südtirols reformiert hat. Ganz sicher aber als jener, der als Erster mit den politischen Nachfahren jener regiert, die unserem Land alles zu nehmen versuchten.

Diese Verantwortung ist Ihre Verantwortung.

 

Brigitte Foppa, 18.01.2024

 

 

Author: Heidi

"Che misero spettaco
Regierungserklärung
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